Wie schon zum Ende der New-Economy-Blase im Jahr 2001 erfährt die Medienlandschaft und damit das Umfeld für Public Relations – nicht nur durch die Wirtschaftskrise – einen sich beschleunigenden Wandel. Damals waren der Wegfall der Werbegelder von New Economy-Unternehmen, die konjunkturelle Schwäche und der Strukturwandel in Richtung Online-Werbung die Hauptgründe für den Einbruch bei Werbeeinnahmen und Abonnentenzahlen. Die aktuelle Medienkrise und der damit verbundene Umbruch der Medienlandschaft hat jedoch eine weiter reichende Qualität. Nachdem Verlage in den letzten Jahren den schleichenden Anzeigen- und Leserschwund durch neue Geschäftsmodelle wie Corporate Publishing Services, Events oder ausgefeilte Kooperationsangebote teilweise auffangen konnten, sorgt die aktuelle Wirtschaftskrise bei Printmedien aber auch Radio/TV-Angeboten für große wirtschaftliche Einbußen. Verstärkt wird diese Entwicklung durch den demografischen Wandel, verändertes Mediennutzungsverhalten gerade junger Zielgruppen und vor allem den Hype um das „Social Web“. Der strukturelle Wandel der Medienlandschaft erfährt dadurch eine ungeahnte Beschleunigung, der national wie international bereits eine Vielzahl teilweise recht prominenter Medien zum Opfer gefallen sind.
Parallel explodiert die Zahl der Online-Angebote, wie Online-Ableger eingeführter Medienmarken, Blogs oder Communities, die sich extrem steigender Besucherzahlen erfreuen. Insbesondere Web 2.0-Plattformen wie Youtube, Flickr, Twitter, Xing oder StudiVZ haben aufgrund der gebotenen Interaktions- und Partizipationsoptionen mittlerweile eine Spitzenposition im Online-Aktivitätsprofil vieler Nutzer. Alleine unter den 20 reichweitenstärksten deutschen Online-Angeboten befinden sich neben Bild.de oder SpiegelOnline bereits heute Youtube, Facebook oder StudiVZ (Quelle: Alexa.com). Doch es sind nicht nur die Online-Reichweiten, die klassischen Medien zu schaffen machen. Auch das Nachrichtengeschehen verlagert sich ins Web, was insbesondere Tageszeitungen einen zusätzlichen Nachteil bei der Aktualität einbringt. Zwar genießen die Online-Ableger klassischer Medienmarken eine hohe Reputation hinsichtlich der redaktionellen Qualität. Der Druck auf die bestehenden Geschäftsmodelle zwingt aber zu Einsparungen, die früher oder später auf die Qualität durchschlagen werden.
Die Entwicklung von Offline zu Online ist nicht mehr aufzuhalten und mit dem “Social Web” verändert sich das gesamte Kommunikations- und Informationsgefüge. Von Nutzern selbst organisierte Austauschplattformen, private “Medienkanäle” mit von Usern erstellten Inhalten oder die explosive Zunahme dialog-orientierter Kommunikationsformen zwingen – bei abnehmenden Medienreichweiten – auch PR-Verantwortliche ihre Strategien neu auszurichten und in Richtung Online weiter zu entwickeln.
Online-Redaktionen weiter auf dem Vormarsch
Kein Verlag kann es sich mehr leisten, nicht im Web präsent zu sein. Mit neuen organisatorischen Konzepten wie “Newsdesk” werden zentrale “Newsrooms” aufgebaut, die alle Medienkanäle (Print, Broadcast, Online) mit multimedialen Inhalten (Text, Bild, Audio, Video) beschicken, am besten rund um die Uhr. Doch auch das Internet wird die Verluste des kränkelnden Printgeschäfts nicht ausgleichen können. Da es bislang nur wenige Online-Medien gibt, die profitabel betrieben werden, müssen Zeitungsverleger sich neue Konzepte einfallen lassen, um ihr Überleben langfristig zu sichern.
Einer europaweite Umfrage zu “Journalismus und Web 2.0” des Agenturnetzwerks Oriella zufolge ist diese Entwicklung schon sehr weit fortgeschritten. Fast die Hälfte der Befragungsteilnehmer haben das Gefühl, immer mehr Inhalte für ihre Leser/Zuschauer produzieren zu müssen. 44 Prozent betreiben sogar journalistisch ausgerichtete Blogs, während die Themen Audio- und Video-Podcasts “erst” bei 24 Prozent Einsatz finden, jedoch mit steigender Tendenz. Das Internet als Recherche- und Nachrichtenquelle gehört bei den meisten Journalisten zum Arbeitsalltag. Blog-, Twitter- oder Community-Monitoring sind in Redaktionen weiter auf dem Vormarsch. Für PR-Treibende bedeutet dies, dass sie nicht nur über neue eigene “Online-Kanäle” zu den eigenen Zielgruppen sondern auch über die neuen “Kontakt- und Zugangspunkte” in die derart erweiterte Medienarena nachdenken müssen.
Mit der breiten Verfügbarkeit von Zeitungen verloren im 19ten Jahrhundert “Ausrufer”, “Bänkelsänger” und andere Berufsgruppen einen Großteil ihrer Zuhörer. Ob es der gedruckten Zeitung irgendwann ebenso gehen wird, ist nicht absehbar. Unabhängige redaktionelle Instanzen wird es – gerade in der wachsenden Informationsflut des Webs – immer geben. Auch wenn der Journalismus laut einer Untersuchung der Uni Dresden in einer Vertrauenskrise steckt, konstatieren Internet-Nutzer den Web-Angeboten eingeführter Medienmarken deutlich höhere Glaubwürdigkeitswerte als anderen Web-Angeboten. Fakt ist jedoch, dass Print-Medien, aber auch klassische TV/Radio-Broadcast-Angebote an Lesern und Zuschauer verlieren. Der Medienkonsum findet verstärkt über das Internet statt, dem bisherigen “Zweitverwertungkanal” der meisten Medien. Wann das Internet zum Informations- und Unterhaltungskanal No1 wird, ist nur eine Frage der Zeit. In jedem Fall ist das Internet dank E-mail, Chat und Social Networks schon heute – hinter dem Telefon – der Kommunikationskanal No1.
Bei den jüngeren, mit dem Internet groß gewordenen Zielgruppen, auch Digital Natives genannt, liegt die Zahl der Internetnutzer bei über 90 Prozent. Sie nutzen kommunikative Online-Anwendungen für sämtliche Lebensbereiche, wie Partnersuche, Jobsuche, Flirten oder Alltagskommunikation. Zu diesen Ergebnissen gelangte die Studie Markt-Media-Studie internet facts der AGOF. Laut dieser Umfrage beziehen 62 Prozent aller Befragten via Internet Nachrichten zum Weltgeschehen, ebenso viele kaufen im Internet ein und über 55 Prozent informieren sich dort über regionale Themen. Zudem gewinnt in dieser Altersgruppe das Internet hinsichtlich der Nutzungsdauer und -intensität immer mehr an Bedeutung, bei zunehmender Parallelnutzung mehrerer Medien.
An der Spitze der weiteren Entwicklung treibt die etwas ältere Web-Avantgarde mit der Erfindung und Nutzung neuer Tools und Plattformen, wie beispielsweise Twitter, den Medienwandel weiter voran. Dies und das allgemein veränderte Nutzungsverhalten sorgen letztlich für steigende Ansprüche hinsichtlich Qualität, Verfügbarkeit, Aktualität, Mobilität sowie Dialog- und Partizipationsoptionen von Online-Angeboten. Die Implikationen für PR als Lieferant von Inhalten und Plattformbetreiber sind eindeutig: An stärkerer Bebilderung und Videonutzung sowie dialogischen Kommunikationsformen wird PR nicht vorbei kommen. Dies gilt übrigens nicht nur für die externe Kommunikation sondern auch für interne Kommunikationsprozesse, da Digital Natives ihre im Web gelernten Kommunikationsformen zunehmend stärker in den beruflichen Alltag einbringen.
Blogging und Micro-Blogging
Blogs sind mittlerweile zum Standard geworden. Die Anzahl konsolidiert sich auf relativ stabilem Niveau und die Zahl der meinungsbildenden Blogs mit einem gewissen Zielgruppen-spezifischen Einfluss ist zumindest in Deutschland überschaubar. Denn nicht jedem ist es gegeben, kontinuierlich interessante Inhalte für einen breiteren Interessentenkreis zu produzieren und darüber hinaus auch seine “Fangemeinde” dauerhaft an sich zu binden. Nicht zuletzt deshalb wird ein Großteil der wichtigeren Blogs in Deutschland von Journalisten, Medien-nahen Verfassern oder im Auftrag von Medien, Unternehmen oder NGOs betrieben. Anders ist die aktuelle Entwicklung beim Micro-Blogging via Twitter, dem jüngsten Hype-Thema in der Welt des Web 2.0. Explodierende Nutzerzahlen und natürlich ein unvergleichlicher Medien-Hype propagieren Twitter als die “Plattform der Stunde”. Das Portal “we follow” verdeutlicht, welch beachtlliche Followerzahlen und somit Reichweiten bei Twitter möglich sind, beispielweise hat CNN aktuell bereits über 1,5 Millionen Follower.
Der Neuigkeitswert, den Blogs noch vor ein bis zwei Jahren gehabt hätten, sei verschwunden, sagte Medienjournalist Stefan Niggemeier auf der re:publica 2009 in Berlin. Seit die “digital natives” eher zum Kurznachrichtendienst Twitter als zum Weblog greifen, um sich mitzuteilen, gerieten qualitativ hochwertige eigene Inhalte ins Hintertreffen, so Niggemeier, selbst einer der Großen in der Blogosphäre, weiter.
Aber auch bei Twitter werden sich mittelfristig wohl primär die Twitter-Angebote als meinungsbildend durchsetzen, die sich über knackige Kommentare oder Verweise auf eigene aktuelle und wertige Inhalte (z.B. auf nach gelagerten Blogs oder Websites) aus der unendlichen Zahl von ge-twitterten Zugfahrten und kommentarlosen Verweisen auf Angebote von anderen hervorheben. Twitter scheint zumindest aktuell ein hervorragendes Tool eigene News oder Themen anzureißen, zu verlinken und gegebenenfalls über die eigenen “Follower” in der Twitter-Szene zu multiplizieren. Wie und das dies in Teilen funktioniert, beweisen immer mehr Verlage, zunehmend auch Unternehmen und natürlich die in Twitter besonders aktive “Web-Avantgarde” beispielsweise Blogger wie Thomas Knüwer, Sascha Lobo, Klaus Eck oder Claudia Sommer. Darüber hinaus ist Twitter ein gutes Analysetool für aktuelle Nachrichten und Themenströmungen und ein phantastischer Kanal um Reaktionen zu erkennen, darauf zu reagieren oder auch Feedback an andere abzusetzen, kurz um in Dialoge einzusteigen und Beziehungen zu pflegen. Nicht zuletzt bekommt man über Twitter bei Beobachtung der richtigen Autoren jede Menge guter Anregungen und Ideen für die eigene PR-Arbeit. Da Twitter extrem einfach zu bedienen ist, kann es eigentlich jeder problemlos in PR-Kampagnen integrieren, entsprechende Inhalte und genügend Zeit zum Twittern (Praxistipp) vorausgesetzt.
Communities – Neue Plattformen und Meinungsmittler
Web-Plattformen mit von Benutzern erstellten Inhalten (User Generated Content – UCG) oder sogenannte Social Community Portale gehören mittlerweile hinsichtlich Nutzerzahlen und Nutzungsintensität in Web-Rankings zur Spitzengruppe. YouTube befindet sich in weit mehr als 30 Ländern unter den fünf meistbesuchten Internetseiten und StudiVZ.de hatte im April 2009 in Deutschland rund 3,83 Milliarden Page Impressions (PI). Im Vergleich dazu wirken grundsätzlich beachtliche 617 Millionen PIs von SpiegelOnline im gleichen Zeitraum geradezu bescheiden. Dabei ist Deutschland im europäischen Vergleich aktuell noch Schlusslicht im Social Web wie eine Nielsen Studie jüngst ermittelte. Weltweit besuchen 67 Prozent der Internet-Nutzer sogenannte “Member Communities” (Social Networks und Blogs). Hierzulande nutzen bislang nur ca. 50 Prozent aller Onliner Community-Plattformen, doch ein Wachstum von zwölf Prozent im Jahresvergleich lässt darauf schließen, dass deutsche Surfer aufholen.
Unternehmen und Medien haben mittlerweile erkannt, dass sich das “Online-Leben” zu großen Teilen im Web 2.0 abspielt und die User dort kommunizieren, kollaborieren und Inhalte generieren. Das bedeutet teilweise stattliche Reichweiten und bei kleineren “Themen-Communities” klar umrissene Zielgruppen, denen sich Unternehmen via Banner-Werbung, Sponsoring, Kooperationen, eigene Sub-Communities oder über Teilnahme an Community-Aktiväten nähern möchten.
Darüber hinaus hat das Web 2.0 zu einem Paradigmenwechsel geführt: Inhalte werden nicht länger nur von Unternehmen oder Medien geliefert und konsumiert, heute produzieren Konsumenten selbst Inhalte, verbreiten, verknüpfen, bewerten und kommentieren. Ob dies Medien und Unternehmen gefällt oder nicht, die Interaktivität des Web 2.0 hat es möglich gemacht und ist nicht mehr wegzudenken.
Auch in diesen Strukturen kristallisieren sich neue Meinungsmittler heraus oder es tauchen alte Bekannte wieder auf. Es gilt hier insbesondere solche Meinungbildner zu identifizieren, die sich auf vielen Plattformen gleichzeitig bewegen. Diese sogenannten “Mavens”, gewinnen sowohl im B2B- als auch im Consumer-Bereich immer mehr Bedeutung. Mit der Identifikation und Ansprache dieser Zielgruppe tun sich viele PR-Verantwortliche noch schwer. Wenn das “Beobachtungsradar” der PR-Abteilung diese überhaupt erfasst, stellen sich die Fragen der Zuständigkeit und natürlich der adäquaten Ansprache.
Einige Unternehmen setzen hier – unabhängig von der PR-Abteilung – recht erfolgreich auf sogenannte Evangelists. Diese stehen für ein Unternehmen und dessen Themen, sollten einen gewissen Expertenstatus haben und versuchen diese Themen im Dialog, in Foren oder Online zu vermitteln. Aufgrund ihrer Expertise, dem für Dritte klar erkennbaren Auftrag und der gewählten Näherungsweise gewinnen Evangelists einen deutlich leichteren Zugang zu Bloggern, Communities oder anderen für das Unternehmen relevanten Personen. Ein gutes Beispiel ist Boris Schneider-Johne, der für die Xbox auf diese Art unterwegs ist.
Unternehmens-Websites und Web 2.0
Auch Unternehmen rüsten Ihre Angebote in Richtung Web 2.0 auf. Die leichte Integration von Twitter-, Blog- oder Video-Funktionalitäten führt – gerade bei Konsumentennahen Websites – zur Öffnung für Dialog, Mobilisierung und Partizipation. Konkret kann das beispielsweise mittels Mitmach-Optionen via Serious-Games, Innovations-Wettbewerben oder Aufforderungen zur Produktentwicklung geschehen. Manche Unternehmensauftritte bestehen nur noch aus solchen Tools: Ein gelungenes Beispiel liefert der amerikanische Süßigkeitenhersteller Skittles.
Zudem bauen viele Unternehmen auf der Grundlage von Blog- oder Wiki-Technologien eigene Community-Plattformen für Mitarbeiter, Markt-, Entwicklungs- oder Vertriebspartner, Business-Kunden oder Consumer. Selbst mit sehr kleinen aber feinen Netzwerken werden hier sehr gute Erfolge bezüglich Information, Kommunikation, Prozessverschlankung, Transparenz und vor allem Entwicklung neuer Ideen erreicht.
Veränderte Zielsetzungen durch Web 2.0
Den PR-Erfolg weiterhin nur in Clippingzahlen und Reichweiten zu bemessen, führt bei abnehmender Medienzahl, weniger Seiten und Leserschwund mittelfristig in eine Sackgasse. Webmonitoring, also Scannen von Stimmen und Meinungen im Web mit anschließender Analyse, gehört noch längst nicht zum Alltag der Erfolgsmessung. Bislang betreiben laut WebKnow Studie 2008 ca. 40 Prozent der Unternehmen strukturiertes Webmonitoring, beispielsweise zur Beobachtung von Firmenerwähnungen, zur Themenbeobachtung oder als Ideenquelle für Innovationen.
Als besonders bedeutend werden Foren und Communities eingeschätzt, gefolgt von traditionellen Pressediensten, Weblogs und Bewertungsportalen. Interessante Antworten lieferte die Frage nach der Zuständigkeit für Webmonitoring innerhalb des Unternehmens: 38 Prozent sehen hier die PR-Abteilung in der Verantwortung, 27 Prozent die Marketingabteilung und lediglich 11,7 Prozent die Marktforschung. Fakt ist, dass eine zielgerichtete Aussteuerung der PR-Strategie ohne Berücksichtigung des Internets heute nicht mehr funktionieren kann.
Wie geht es weiter?
Online und Web 2.0 sind keine vorübergehende Erscheinung. Das Web wird sich weiter von einer Anbieter-dominierten zu einer User-dominierten Sphäre entwickeln. Auch wenn nicht jeder Einzelne, jede NGO oder Kundengruppe ihre eigene Web-Medienwelt aufbaut, die Demokratisierung durch “Jedermann-Tools”, unbegrenzte Möglichkeiten zur Selbstdarstellung, frei konfigurierbare Kommunikationskanäle oder Foren, grenzenlose Vernetzungs- und Dialogoptionen und nicht zuletzt die noch lange nicht ausgeschöpften Möglichkeiten zur Partizipation verändern die Rahmenbedingen jeder Unternehmenskommunikation. Da die Dynamik der Entwicklung gerade weiter zunimmt, empfiehlt es sich unbedingt deren Rückwirkungen auf die eigenen PR-Aufgaben regelmäßig zu prüfen.