Zwei ganz verschiedene Gruppen teilen gerade den Wunsch, das Smartphone im Alltag zurückzudrängen. Beide stören sich an der Abhängigkeit vom Gerät. Doch während die einen damit meinen, dass Menschen zu viel Zeit damit verbringen, ihm zu großen Raum in ihrem Leben geben – geht es den anderen darum, die ganzen Services und Nutzungsszenarien vom störenden Kasten in der Hand zu befreien.
Kritik am Smartphone und daran, wie sich Menschen in ihm als digitaler Nabelschnur verheddern, ist nicht neu, nimmt aber Fahrt auf. Die Bild-Zeitung etwa greift dankend eine Studie der Universität Heidelberg unter der Überschrift „Smartphone-Sucht verändert Gehirn wie Drogen“ auf. Bei den Mobiltelefon-Junkies sei die graue Substanz geschrumpft und die Hirnaktivität habe abgenommen, steht dann dort. Fallzahl: 48 Personen, darunter 22 Süchtige.
Das reiht sich ein in Untersuchungen der Vergangenheit, nach denen in Spanien jeder Fünfte zwischen 15 und 65 handysüchtig sei, in Saudi-Arabien die Hälfte der Studierenden und in Großbritannien jeder zehnte Schüler ein problematisches Verhalten zeige.
Sucht ist dabei meist zu viel gesagt. Nichtsdestotrotz hängen viele ständig am Smartphone, entsperren bald 100 Mal am Tag, schaffen keine Wartezeit, kaum ein Gespräch und keinen Gang aufs Klo ohne das Gerät. So wirkt es zumindest.
Horrorszenarien oder „Früher war alles besser“
Da kann man Horrorszenarien beschreiben: Verflachende Informationsverarbeitung, die Taktung, in der Säue durchs Aufmerksamkeitsdorf getrieben werden, wird immer höher – und gleichzeitig wird es einfacher denn je, unangenehme Themen durch einen neuen Aufreger abzulösen. Teenager halten Warten nicht aus, lernen so keine Geduld, verpassen den positiv weiterentwickelnden Effekt, Langeweile auszuhalten.
Das ist jetzt alles nicht ganz falsch – aber halt auch nicht neu. Wie der Vorwurf, dass Menschen aufgrund des Smartphones gar nicht mehr den Dialog in der Öffentlichkeit suchen, mal mit anderen reden, sondern völlig abgelenkt sind, weil sie die ganze Zeit direkten Zugriff auf Entertainment in der Hosentasche haben.
Das Smartphone als Trägermedium der persönlichen Digitalisierung
Was sich sicher durch Smartphones verändert hat, ist die direkte Vernetzung – mit dem Netz, mit Information, Entertainment, anderen Menschen. Stets und überall – oder in Deutschland eben da, wo man vernünftiges Netz und Akku hat, die neuen Grundbedürfnisse.
Das hat große Vorteile, hat Business, Zugang zu Information, Austausch mit anderen beschleunigt und verändert. Das Smartphone hat das Internet quasi vom Desktop befreit. Komplett, mit allen Konsequenzen. Tracking über Cookies, übertragene Informationen, Geodaten inklusive. Und Anwendungsdesigns, die darauf optimiert sind, Menschen dazu zu bekommen, die Anwendungen immer und immer wieder zu verwenden, Nutzungsverhalten anzutrainieren.
Wie gesagt, ganz falsch ist das mit den Problemen nicht. Genau wie damals auch nicht ganz falsch war, dass Jugendliche sich mit dem voll aufgedrehten Walkman das Gehör kaputt machen können.
Das Smartphone war das Trägermedium dieses Prozesses, was inzwischen schon zu Gegenbewegungen führt. Menschen, die es verteufeln, sich wünschen, zurückzukehren zu einem Mobiltelefon, das tatsächlich das und nur das möglich macht – mobil telefonieren. Die Eigenschaft von Smartphones, die typischerweise nicht den Hauptteil ihrer Nutzungszeit beansprucht.
Auch von der digitalaffinen Seite wird eifrig am Verschwinden des Smartphone gearbeitet – weil der Wirt seine Rolle als alleiniger Träger bald erfüllt haben soll.
In der Folge des Ubiquitous Computing kommt die Ubiquitous Connectivity. Mit der Smartwatch, die sich in aktuellen Generationen schon vom Smartphone emanzipiert hat und es nicht mehr benötigt, um online zu gehen, kann man sich dann nicht nur über Mails und Nachrichten informieren – man kann mit ihr zusätzlich telefonieren.
Wearables: Top oder Flop?
Mit einem weltweiten Umsatz von 12,4 Mrd US-Dollar (im Jahr 2018 laut Gartner) bleibt die Smartwatch das erfolgreichste Wearable. Das Erfolgsbeispiel eines Konzepts, das schon länger existiert, aber zuvor nur mäßige Erfolge erzielte. Die Verheißung, mit Assistenten direkt zu sprechen, mit smarten Gegenständen direkt interagieren zu können, war eine glänzende. Die ersten Gerätegenerationen leisteten – wie üblich – nur einen Teil dessen. Fataler aber war, dass die Use Cases fehlten. Einen Mehrwert haben die Biodaten geschaffen. Das Argument, dass der Smartphone-Akku länger hält, wenn man statt auf dessen Display auf die Uhr schaut, hat für einen Teil der Zielgruppe ebenfalls funktioniert.
Nach der Uhr wird es aber wieder eng. Da kommen Brillen-Displays und smarte Kopfhörer, umsatztechnisch auf den Plätzen 2 und 3. Und dann Klamotten, die Smart Casual neu definieren, viel mehr aber auch nicht. Funktionieren die Wearables dann jetzt als die nächste Welle? Oder schafft es die Sau wieder nicht auf die andere Seite des Dorfs? Um dazu Antworten zu finden, gibt es zwei entscheidende Fragen.
Was habe ich davon?
Es geht um zwei Dinge:
Was habe ich davon?
Und: Wie nutze ich es richtig?
Sie entscheiden stark darüber, ob sich eine Technologie durchsetzt – oder eben nicht. Fragen, die sich alle Kunden stellen sollten – und auf die jede Marke gute Antworten geben können sollte.
Der smarte Kühlschrank ist das typische Beispiel einer Technologie, mit der Nutzer nie recht warm wurden. Und eines klischeehaften Ingenieurprodukts: Gebaut, weil es geht. Nicht, weil es Menschen brauchen oder wollen. Die smarte Zahnbürste schlägt in eine ähnliche Kerbe: Natürlich kann man ein Gerät bauen, das web-gestützt Daten zeigt, wann man wie lange und mit wie viel Druck Zähne geputzt hat. Nur: Was hat der Verbraucher davon?
Ein Mehrwert muss her …
AR-Brillen im Unternehmenskontext dagegen liefern einen Mehrwert: Passende Infos zum Gerätestatus und ablaufenden Prozessen oder virtuell unterstützte Trainings machen im Industrieeinsatz aus einer Spielerei etwas, das Produktivität oder Effizienz erhöht. Daraus folgt aber nicht mittelfristig, dass die private Massennutzung einsetzt.
Smarte Kopfhörer profitieren von den verbesserten Sprachinterfaces und vom Trend zu Podcasts. Die Entkopplung von Display und Tastatur wird so möglich – aber nicht durch die Bank, sondern für bestimmte Teilszenarien. Kurze Nachrichten austauschen, unterwegs Informationen und Unterhaltung über Audio rezipieren, das hat seinen Reiz. Den Rest der Welt oder alle Bürokollegen an dem allen teilhaben lassen eher nicht.
Und wie nutze ich es?
Die zweite Frage ist genauso entscheidend: Wie nutzt man eine Technologie richtig? Da kommt sie wieder, die Medienkompetenz. Aber eben deshalb, weil ihr eine entscheidende Bedeutung zukommt. Der richtige Umgang ist entscheidend, das Wissen um Muster und Folgen. Dass emotionalisierende Aufregerthemen in Social Media besser funktionieren und sich schneller verbreiten, Fakten zu wenig geprüft werden, ist keine neue Erkenntnis. Wir ringen dennoch noch immer damit, den richtigen Umgang zu finden. Die Mechanismen, die sich hier in der menschlichen Wahrnehmung zeigen, sind aber alle nicht neu. Am Stammtisch war das Gleiche zu sehen, die Prozesse, wie sich Gerüchte verbreiten („Das hat ein Freund von einem Freund erlebt“), haben schon in der Antike so funktioniert. Ihre Distributionskanäle waren nur langsamer, Öffentlichkeit weniger leicht zugänglich.
Bei Smartphones genau wie Wearables kommen neben den bekannten Mechanismen noch andere hinzu: Die Gratifikationsmuster, die Nutzergewohnheiten schaffen sollen etwa. Und die datenbezogenen Bestandteile: Noch immer ist vielen zu wenig bewusst, welche Daten ihre Geräte wann übertragen. Nicht nur da, wo es tatsächlich verschleiert wird. Auch schon dort, wo es eigentlich klar sein müsste. Fitnessdaten, Gesundheitsdaten, Location-Daten:
Mit all diesen Dingen kann man Mehrwerte schaffen – oder Geschäftsmodelle betreiben, die eher nicht im Sinn des Kunden sind. Deshalb betrügen sich Nutzer selbst, wenn sie Freigaben nach dem „Passd scho“-Muster wegklicken.
Transparenter informieren, aktiver interessieren
Dabei geht es nicht um ein Verteufeln – wie etwa beim Aufschrei, dass das Mikro von Sprachassistenten, die auf ihren Namen reagieren, immer an ist. Das ist kein böswilliges Vorgehen, es geht ja schlicht nicht anders. Sonst kann das Gerät nicht reagieren.
Unternehmen sollten sich mehr Mühe geben, ihre Kunden transparent zu informieren – und diese sich dafür aktiv interessieren. Technologie, ihre Eigenheiten, Chancen und potenziellen Risiken sind erklärungsbedürftig. Die Aufgabe von Kommunikatoren ist es, diese Punkte aufzuzeigen. Und auf die Medienkompetenz hinzuwirken, die für dieses Branchenfeld und unsere Gesellschaft notwendig sind.
Das Smartphone ist nicht das Problem. Solange wir das glauben, werden wir die eigentlichen Knackpunkte nicht lösen. Displays werden uns noch länger erhalten bleiben – auch wenn neue Nutzungsformate hinzukommen. Diese Ergänzungen führen aber nur zu Verschiebungen, Medientechnologie stellt kein Nullsummenspiel dar. Das Smartphone bleibt – vielleicht schaffen wir es nur, es etwas seltener in die Hand zu nehmen.