Crisp Perspective Veranstaltung

Crisp Perspective 2017: #NoDisruption oder warum der Gartner Hypecycle die falsche Form hat

Das Jahresende rückt näher und damit hat die Zeit der Ausblicke wieder Hochkonjunktur. Gerade wenn man sich täglich mit digitalen Themen auseinandersetzt, ist es leider selten, hier etwas wirklich Neues zu erfahren. Stattdessen ist es meist der viel beschworene alte Wein, der in Schläuche mit einer neuen Jahreszahl gefüllt wird. Deshalb war ich besonders gespannt, was die Kollegen von Crisp Research im Rahmen ihrer Technologiekonferenz Perspective auf die Bühne bringen würden. Meine Erwartungen waren hoch, denn Veröffentlichungen von Crisp wie deren Newsletter bringen fast immer einen echten Mehrwert.  

Höhepunkte gleich zu Beginn

Und das Highlight des Events ließ nicht lange auf sich warten, denn den Anfang machte in gewohnt unterhaltsamer Manier Dr. Carlo Velten. Er beschäftigte sich mit der Frage, wie CIOs und CTOs den technologischen Wandel in Zeiten von IoT, Cloud und AI gestalten können. Und er schaffte es tatsächlich, eine neue Perspektive zu eröffnen, indem er zwei der gängigsten Aussagen und Postulate in der aktuellen Digitalisierungsdiskussion in Frage stellte.

These #1 – Die aktuelle Entwicklung ist in Augen von Crisp keine Disruption

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Denn diese ist laut Definition ein Vorgang, bei der auf Basis innovativer Technologien bestehende Produkte oder Dienstleistungen in kurzer Zeit vollständig verdrängt werden. Anhand von prominenten Beispielen wie Tesla, AWS, Bitcoin oder auch WhatsApp machte er jedoch deutlich, dass vom Start bis zum Durchbruch jeweils rund zehn Jahre lagen. Genug Zeit also, sich mit diesen Veränderungen zu beschäftigen und darauf zu reagieren. Und hier verortet Crisp das eigentliche Problem, wie Velten anhand einer großartigen Grafik zur Adaption neuer Technologien im Bereich Enterprise IT von Simon Wardley zeigte. Das Problem sei nicht der exponentielle Verlauf, mit dem beispielsweise die Nutzung der Cloud ab einem gewissen Zeitpunkt explosionsartig ansteigt, sondern die Zeitspanne zwischen dem eigentlichen Durchbruch und der Reaktion der Enterprise IT. Dieser sogenannte Innovation Gap muss möglichst klein gehalten werden, um den Anschluss zu Wettbewerbern nicht zu verpassen und den Anforderungen von Markt und Kunden gewachsen zu sein.

These #2 – Die Einführungsgeschwindigkeit neuer Technologien folgt nicht dem Gartner HypeCycle

CrispDie im Enterprise IT Adoption Cycle beschriebene zu Beginn eher langsame und später exponentielle Entwicklung passt gleichzeitig aber nicht zu einem der beliebtesten Instrumente zum Verlauf von IT-Trends, dem Gartner Hype Cycle.

Denn die Grafik von Gartner vermittelt (auch wenn sie eigentlich natürlich einer ganz anderen Logik folgt) mit ihrer typischen Kurve den Eindruck, dass die Entwicklung neuer Technologien ganz zu Beginn am schnellsten und danach eher ruhig und gleichmäßig verläuft. Stattdessen geht es laut Crisp eher darum, in der Phase vor einem Durchbruch und dem damit verbundenen exponentiellen Wachstum neuer Technologien Erfahrungen zu sammeln. Die dafür notwendige Fähigkeit ist dabei keine Frage der Technologie oder der Prozesse, vielmehr besteht der entscheidende Faktor eines erfolgreichen Wandels mehr denn je darin, als lernende Organisation eine Kultur des kontinuierlichen Ausprobierens zu etablieren. Anders als früher braucht man dafür keine großen Budgets mehr, denn jedes Unternehmen kann heute Rechenkapazität mieten und dadurch ohne Zugangshürden neue Ideen testen.

Dreiteilige Erfolgsstrategie

Die Strategie erfolgreicher Digitalpioniere folgt dabei dem Dreiklang Learn. Build. Grow. Mit Learn ist die Aneignung von Wissen gemeint, welche Technologien (beispielsweise in den Bereichen Cloud, Machine Learning oder auch bei Zukunftsthemen wie Quanten-Rechnern oder Neuromorphic Computing) für die Digitalisierung des eigenen Business zur Verfügung stehen. Dieses Know-How bildet die Basis für eine erfolgreiche digitale Transformation des eigenen Geschäftsmodells. Mit Build umschreibt Crisp die Frage, wie diese Technologien eingesetzt werden können und welche Fähigkeiten dafür notwendig sind. Fehlentscheidungen bei der Auswahl des richtigen IT-Stacks können fatale Folgen haben, denn jede Plattform braucht eine stabile und zukunftssichere Basis. Auch die Wahl der geeigneten Benutzeroberfläche ist nicht trivial, denn neben Apps müssen je nach Anwendung auch Bots, Sprach- und Gestensteuerung berücksichtigt werden. Und nicht zuletzt geht es beim Thema Build darum, die Kompetenzen nicht alleine über Dienstleister und Partner abzubilden, sondern im eigenen Unternehmen aufzubauen. Denn es wäre hochgradig riskant, die Basis des eigenen Business als Software Driven Company ohne solche Kompetenzen konstant am Laufen zu halten. Abschließend geht unter dem Oberbegriff Grow darum, digitale Plattform-Modelle nach einer erfolgreichen Testphase erfolgreich wachsen zu lassen. Dabei spielt das Thema Automatisierung eine Schlüsselrolle, denn Unternehmen wie Google und Co. haben zentrale Support- und Service-Prozesse hochgradig automatisiert, um Stückkosten gering zu halten und skalieren zu können. Nicht weniger wichtig ist auch die Frage einer offenen API-Strategie. Den Anfang machten hier Anbieter wie AWS, Salesforce und Facebook, danach entdeckten auch Startups wie Zalando oder Stripe das große Potenzial der Strategie, eigene Plattformen aufzubauen und anderen Zugang zu den eigenen Backend-Systemen zu gewähren. Heute haben auch Industrie- und Consumer-Brands wie adidas oder GE dies erfolgreich adaptiert.

Vom Glühlampen-Verkäufer zum Lighting-as-a-Service-Anbieter

Der nächste Vortrag lieferte ein Paradebeispiel für ein Unternehmen, dass sein Geschäftsmodell dieser Strategie des Learn. Build. Grow. folgend erfolgreich an die veränderten Rahmenbedingungen der Digitalisierung angepasst hat. Dr. Thorsten Müller, SVP Innovation bei Osram zeigte auf beeindruckend anschauliche Art und Weise, wie ein Traditionsunternehmen darauf reagieren kann, dass sein angestammter Markt, in diesem Fall der für klassische Leuchtmittel, sich rückläufig entwickelt.

Bei der Suche nach dem richtigen strategischen Hebel stellte sich Osram die Frage, wo potenzielle Wachstumsmärkte liegen, in denen das Unternehmen Kompetenzen mitbringt und wie diese sich neu und anders als bisher nutzen lassen. Auf diesem Weg brachte Osram einige spannende Projekte an den Start, die zeigen, wie ein ehemaliger Verkäufer von Leuchtmitteln nicht nur im Bereich Licht, sondern auch in anderen verwandten Segmenten Mehrwerte erschließen und vermarkten kann. Wie dies in der Praxis aussieht, zeigt das Beispiel SiteWorks. Das Osram-Angebot ist als Smart Lighting-as-a-Service aufgebaut und dabei als Baustein eines Smart Building positioniert. Osram ermöglicht dabei nicht nur eine höhere Energieeffizienz, sondern auch eine effizientere Raumnutzung, indem es durch Sensoren analysiert, welche Räume in einem Unternehmen tatsächlich genutzt werden. Auch die Retail-Lösung Einstone und die neuartige Außenbeleuchtungstechnologie Traxon entsprangen dieser Erweiterungsstrategie und sind Belege für den erfolgreichen Weg von Osram ins digitale Zeitalter.

Fazit: Mut ist die wichtigste Währung im digitalen Zeitalter

In den letzten Jahren ist Geschwindigkeit zum wichtigsten Credo im Zeitalter der Digitalisierung ernannt worden. Leider führte dies an vielen Stellen dazu, dass Panik und Hektik ausbrachen, was die Quote richtiger Entscheidungen eher reduzierte als sie zu steigern. Die Analyse von Crisp, nach der die aktuelle Entwicklung nicht als Disruption bezeichnet werden sollte, lenkt den Fokus für Unternehmen jedoch auf einen anderen Bereich. Die kontinuierliche und intensive Auseinandersetzung mit neuen Technologien, die Frage, wie diese neuen Möglichkeiten das eigene Geschäftsmodell verändern könnten und vor allem der Mut, Dinge auszuprobieren, Fehler zu machen und sich nach außen zu öffnen (Stichwort offene APIs) sind weit wichtiger als digitaler Aktionismus in Rekordtempo. Das zeigte auch die IoT-Präsentation von Stefan Ried, der sich mit „Fake Industrie 4.0“-Projekten in der Industrie auseinandersetzte. Dieser Grundsatz gilt gleichermaßen für das Management wie für die IT und die Kommunikation. Insofern gehört die Welt 2018 mehr denn je den Mutigen.

Veröffentlicht von

Stefan Weigl

Stefan Weigl, Stakeholder Communication, Senior Account Manager, Kommunikationsagentur Fink & Fuchs Public Relations AG, Wiesbaden, München, Berlin