Von Disruption und Revolution ist im Digitalsegment schnell die Rede. Wer Trends und Veränderungen aber wirklich verstehen will, muss etwas tiefer tauchen. Um ihr Potenzial für das eigene Geschäft, aber auch für andere Branchen abschätzen zu können. Aus diesem Grund steigt Fink & Fuchs mit Unterstützung der Analysten von TrendOne in der Kategorie “Zukunftstrends verstehen” regelmäßig in ein Thema vertieft ein. In unserem ersten Blogbeitrag widmen wir uns der Blockchain.
Blockchain ist in den vergangenen Monaten ein Trendthema geworden – mit angefeuert durch den Höhenflug von Kryptowährungen wie Bitcoin oder Ripple. Das liegt daran, dass Blockchain die Kryptowährungen zugrunde liegende Technologie darstellt. Doch ihre Anwendungsszenarien reichen weit darüber hinaus. TrendOne hat mit uns die Perspektiven, aber auch Probleme von Blockchain beleuchtet. Eine Zusammenfassung:
Was ist Blockchain?
Blockchain ist eine neuartige Technik zum Speichern von Daten und ihrem sicheren Management. Die „Kette“ der Informationsblöcke stellt eine dezentrale Datenbank dar. Jede Transaktion, jede Veränderung ergänzt chronologisch den Datensatz. Damit sind die vorherigen Einträge aber auch stets nachvollziehbar, sie werden nicht überschrieben oder „verschwinden“. Im Finanz-Bereich entsteht so ein öffentliches Buchhaltungssystem. Das sorgt für Transparenz, Sicherheit und macht den Mittelsmann, der sonst nicht nur für die Abwicklung, sondern auch die Korrektheit von Transaktionen garantiert – zum Beispiel eine Bank – überflüssig.
Wie Blockchain funktioniert – ein Überblick
Dieses öffentliche Buchhaltungssystem bietet Potenzial für eine ganze Reihe von Anwendungs- und Branchenfeldern. Das ist einer der Gründe, warum aktuell viele Unternehmen und Startups das Themenfeld besetzen. Andererseits führt der Hype um Blockchain auch zu einigen seltsamen Auswüchsen. Und einem zunehmend unübersichtlichen Ökosystem. Deutlich macht das die Grafik von Josh Nussbaum, Partner beim Venture-Unternehmen Compound, im Titel des Beitrags.
Warum bewegen sich diese Unternehmen in einem so breiten Branchenspektrum? Weil die zugrundeliegenden Vorteile weit über den Finanzbereich hinaus nützlich sind. Natürlich sind Geschwindigkeit, Sicherheit und klare Eigentümerzuordnung im Finanzmarkt wichtig – ob es um Bezahlvorgänge oder Unternehmensanteile geht. Die gleichen Faktoren spielen aber auch in der Abwicklung von Verträgen, beim Umgang mit persönlichen Daten oder in der Logistik eine Rolle. Ob der getrackte Gegenstand, dessen Zustand, Vorgeschichte und Eigentümer sich schnell und fälschungssicher ermitteln lässt, nun ein digitaler Währungsbetrag, ein Lebensmittel oder ein Gerät ist, macht für die Technologie keinen wirklichen Unterschied.
TrendOne hat eine Reihe von Anwendungsfeldern identifiziert, in denen Blockchain eine relevante Rolle zukommen kann:
Blockchain und seine Bedeutung für ausgewählte Branche
Fintech
Im Fintech-Segment geht es nicht nur um Kryptowährungen: Auch klassische Abwickler von Finanztransaktionen testen den Einsatz von Blockchain, um etwa internationale Transaktionen schnell und sicher abzuwickeln. Ein Beispiel: Visa setzt die Technologie des Startups Chain.com für die Plattform Visa B2B Connect ein. Banken und Unternehmenskunden sollen über sie ab Mitte 2018 beinahe in Echtzeit Transaktionen nachverfolgen können.
Der Versicherungskonzern AXA wiederum will Blockchain direkt im Umgang mit Endkunden nutzen: Über den Dienst „Fizzy“ sollen Kunden automatisiert Flugversicherungen abschließen können – die Gutschriften bei ausfallenden Flügen erhält der Kunde in der Kryptowährung Ethereum.
Commerce
Für den Handel das größte Anwendungsfeld: Logistik und Lieferkette. Das Schweizer Start-up Ambrosus etwa arbeitet daran, die komplette Lieferkette von Nahrungsmitteln von der Produktion bis auf den Kundenteller so zu erfassen. Das sensorgestützte Tracking-System kann zugleich die Lebensmittel überwachen – fällt die Kühlkette aus, kommt es zu Lieferverzögerungen, die dann automatisiert zu voreingestellten Reaktionen führen. Durch die chronologische Natur der Kette sollen nachträgliche Manipulationen zudem verhindert werden.
Media & Communication
Verifikation ist in Zeiten von Fake News ein großes Thema. Für die Quelle von Inhalten, deren Vertrauenswürdigkeit, aber auch um Veränderungen an Inhalten wie Fotos und Videos auszuschließen, bietet Blockchain Potenzial. Der Haken: Das gilt natürlich erst ab dem ersten Auftauchen des entsprechenden Inhalts in der Blockchain. Das Start-up Truepic etwa bietet ein Software Development Kit an, das sich in Apps integrieren lässt. Verwendet dann ein Nutzer aus der App heraus die Kamera, um ein Foto oder Video zu machen, wird die Echtheit des Materials dokumentiert. So können Medien überprüfen, ob Bildmaterial so geschossen oder manipuliert wurde. Und auch Unternehmen können so nachweisen, dass Werbemotive echt statt mit Photoshop überarbeitet sind.
Andere Start-ups arbeiten an Konzepten, wie Blockchain eingesetzt werden kann, um Inhalte zu kuratieren. Userfeeds.io etwa plant, ein auf Blockchain aufsetzendes Reputationssystem zu starten. Nutzer, die Inhalte teilen, die andere besonders wertvoll finden, würden dann von deren Reputation gestützt. Und Inhalte, die von Nutzern mit besonders hoher Reputation verbreitet werden, hätten eine höhere Sichtbarkeit, weil der Nutzer mit seinem Namen für ihre Relevanz steht. Medien und Kommunikation können so neue Möglichkeiten entstehen, mit dem Problemfeld Fake News umzugehen. Und alternative Modelle bei der Inhaltedistribution zu testen, die aktuell stark durch die Algorithmen von Google und Facebook geformt wird.
Certificates
Der Sicherheitsgedanke steht im Fokus bei Anwendungskonzepten rund um Urkunden. Über Blockchain ließe sich etwa die Echtheit digitaler Dokumente absichern und diese sowohl sicher verwahren als auch schnell zur Verfügung stellen – Arbeitgebern oder Behörden etwa. Die Schweizer Stadt Zug bietet ihren Bürgern seit September 2017 eine digitale Identität auf Blockchain-Grundlage an. Perspektivisch soll diese zur Identifikation genutzt werden, wenn Bürger städtische Dienstleistungen in Anspruch nehmen – oder elektronisch an Abstimmungen teilnehmen.
Legal Matters
Mit Smart Contracts kann die Abwicklung von Vertrags- und Rechtsangelegenheiten in Teilen automatisiert werden. Ein Smart Contract heißt deshalb so, weil das Protokoll Verträge nicht nur abbilden, sondern auch überprüfen oder bestimmte Abwicklungsvorgänge automatisiert durchführen kann. Wenn ein Vertrag etwa bei Änderung bestimmter Faktoren wie Lieferzeit oder Menge Nachlässe oder Aufschläge vorsieht, könnten diese automatisiert ausgelöst werden, wenn diese Information die Blockchain – etwa über Sensoren – erreicht.
Medicine & Science
Über die Blockchain gespeicherte Patientendaten könnten die Grundlagen einer echten digitalen Patientenakte liefern. Die der Patient dann selbst für diejenigen zugänglich machen kann, die Informationen für seine Behandlung brauchen. So behielte er die Hoheit über seine Daten.
Perspektiven der Blockchain – mehr als Kryptowährungen
Die perspektivischen Vorteile von Blockchain liegen recht klar auf der Hand. Die Probleme aber ebenso: Der Speicher- und Energiebedarf ist sehr hoch. Zur Veranschaulichung: Laut Digiconomist liegt der Energieverbrauch der Blockchain-Technologie hinter Bitcoin bei über 28 Terawatt-Stunden im Jahr. Das ist mehr, als die komplette Bevölkerung von Nigeria pro Jahr verbraucht.
Durch eine Vielzahl konkurrierender Anbieter stellt sich die Frage nach Interoperabilität in einem fragmentierten Markt. Und natürlich gilt gerade in den sensitiven Bereichen (Finanzen, Verträge, Gesundheit), dass unklar ist, wie Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden in Zukunft entscheiden und regulieren werden.
Auch an diesen Faktoren liegt es, dass viele der beschriebenen Anwendungsszenarien noch am Anfang stehen. Und gerade deutsche Unternehmen eher zögerlich investieren. In der Tat ist das tatsächlich mittelfristig greifbare Potenzial von Branche zu Branche unterschiedlich. Im Finanz-Segment kann Blockchain zur Vereinfachung von Strukturen und Beschleunigung von Vorgängen führen. Etablierte Akteure haben hier gute Chancen auf Quick Wins. Für die Nachverfolgung von Lieferketten bietet Blockchain ebenfalls interessante Vorteile. Gleichfalls relevant ist die Bedeutung von Blockchain für die weitere Entwicklung des Internet of Things. Gerade das Argument Sicherheit, das besonders deutschen Kunden wichtig ist, könnte die Durchdringung im Markt steigern.
Am Ende werden es also nicht unbedingt die Kryptowährungen sein, die das größte Erfolgsbeispiel für Blockchain darstellen. Damit Blockchain-Anwendungen im breiteren Markt erfolgreich sein können, müssen aber Wege gefunden werden, ihre Komplexität zu reduzieren – und sie etwa über entsprechende Benutzeroberflächen für den Endnutzer verständlich werden.