Gutes Employer Branding sieht anders aus. Mehr als 4 Millionen Menschen schalten mittlerweile zu RTL, wenn dort das „Team Wallraff“ mit seinen Reportagen „Missstände und prekäre Arbeitsbedingungen“ aufdeckt. Den Modeversender Zalando hat es bereits erwischt, genauso die Fast-Food-Kette Burger King oder zuletzt die Marseille-Kliniken mit einem Pflegeheim in Berlin. Wallraff ist inzwischen über Siebzig und hat es sich nicht nehmen lassen, für die Reportage zu den Pflegeheimen selbst den gebrechlichen Rentner zu mimen. Seit vierzig Jahren schleicht sich der Enthüllungsjournalist in Unternehmen und Organisationen ein, um deren Innerstes nach außen zu kehren. In den sechziger Jahren soll es in den Personalabteilungen sogar Wallraff-Steckbriefe gegeben haben, damit man sich nicht versehentlich den Feind ins Haus holt. Mittlerweile übernehmen meist junge und ambitionierte Journalistinnen und Journalisten die investigative Aufgabe.
Arbeitswelt hat Medien-Konjunktur
Was aber müssen Unternehmen vom plötzliche Publikumserfolg der Reportage-Serie bei RTL halten? Zuerst einmal muss man anerkennen, dass auch Medienunternehmen die Bedürfnisse ihrer Kunden erfüllen müssen. Die Kennzahlen hierfür lauten Einschaltquote und Publikumsresonanz. Und mit „Team Wallraff“ hat RTL erkennbar einen Volltreffer gelandet und „den Markt abgeräumt“.
4,4 Millionen Zuschauer in der werberelevanten Zielgruppe bedeutet einen Marktanteil von rund 20 Prozent. Ist Schnurrbartträger Wallraff am Ende gar auf dem Weg zum neuen Gottschalk? So schlimm wird es wohl nicht werden. Trotzdem: Der Erfolg von „Team Wallraff“ oder auch die wiederkehrende Berichterstattung über die Arbeitsbedingungen bei Amazon zeigen, dass Themen aus der Arbeitswelt in den Medien Konjunktur haben. Und damit landen Unternehmen als Arbeitgeber generell auf dem Präsentierteller, und Arbeitgeberkommunikation mutiert zu Krisenkommunikation!
Sicher, wie immer geht es in den Medien um Extremfälle. Es ist kein Zufall, dass sich Wallraffs Reporter häufig im Dienstleistungsbereich und nicht zuletzt deshalb auch im Niedriglohnsektor umsehen. Und es ist auch nicht wirklich überraschend, das dort „herausgefunden“ wird. Warum wohl herrscht in Deutschland „Pflegenotstand“, will niemand in der Branche arbeiten? Die Gelackmeierten sind jedoch auch diejenigen Unternehmen, bei denen alles in Ordnung ist. Sie geraten unter Generalverdacht, werden in Sippenhaft für ihre Branche genommen.
Gute Arbeitgeber müssen sichtbar werden
Nicht umsonst investieren Unternehmen seit Jahren verstärkt in Employer Branding. Sie wissen, dass der Ruf als Arbeitgeber wesentlich mit darüber entscheidet, ob qualifizierte Bewerber sich am Ende für das eigene Unternehmen entscheiden. Doch die immer gleichlautenden Versprechungen haben sich abgenutzt. Auch bei Zalando ist auf der Internetseite von Werten und der besonderen Unternehmenskultur die Rede. Und im Image-Video präsentieren sich die Geschäftsführer standesgemäß dinierend zu entspannter Club-Lounge-Musik. Ihre Botschaft an alle da draußen: „Put Purpose first, Ego second.“ Aus der Wallraff-Perspektive sieht Glaubwürdigkeit anders aus, sie beweist sich im Alltag und in der Praxis. Entsprechend stehen Unternehmen genau vor dieser Herausforderung: Den Horror-Geschichten aus der schlechten Arbeitswelt die eigenen Geschichten aus einer besseren – Ihrer realen – Welt entgegenzustellen. Denn nur so kann sich ein Unternehmen wirklich abheben und unterscheiden. Für gute Arbeitgeber gilt: Reden Sie darüber, nicht nur auf der Homepage. Sorgen Sie dafür dass Ihre Geschichten auch in den Medien stattfinden. So wirken Sie dem „Wallraffing“* in Ihrer Branche entgegen!