Im Fokus: Corporate Communications – Von Allen an Alle

Rund zwei Jahre ist es her, als Jean-Remy von Matt die Blogging-Kultur noch despektierlich als “Klowände des Internets” verunglimpfte, um dann von den Geistern, die er rief, selbst eingeholt zu werden. Die Bloggerszene ließ ihre Muskeln spielen und erinnerte mit unzähligen Beiträgen, Postings und Kommentaren unsanft daran, wie Kommunikation im Zeitalter des Web 2.0 funktioniert – nämlich von allen an alle.

Ein Satz kann schon ausreichen. Im Internet kann jeder das Image einer Person oder eines Unternehmens beeinflussen. Und mit dem Blog hat das soziale Gewissen sein Format gefunden. Nie wurde das Leben und Wirken so öffentlich betrachtet und kommentiert, und nie verlief Kommunikation mehrheitlicher, schneller und vernetzter als in Zeiten des Web 2.0; auch und besonders für Fragen der Corporate Communications.Kommunikation beginnt heute in Online-Medien und -Foren fast zeitgleich mit den Ereignissen, die sie verursachen und nicht erst in den Printmedien des nächsten Tages. Für Unternehmen kann dieser unkontrollierte und unkontrollierbare Meinungspluralismus durchaus zum Problem werden. Damit ist klar, dass Blogs nicht mehr als Zeitgeistphänomen ignoriert werden können.

Für die alten Hasen im Web 2.0 Robert Scoble und Shel Israel ist dieser Schritt längst unumgänglich: „Wir glauben, dass Blogging nicht nur für Firmen interessant ist, die gern näher am Kunden sein möchten, sondern dass es unverzichtbar ist”, schreibt das Duo in seinem US-Bestseller „Naked Conversations. How Blogs are Changing the Way Businesses Talk with Customers“. Provokativ formulieren die beiden Amerikaner sogar: „Wir denken, dass Unternehmen, die nicht bloggen, in naher Zukunft bis zu einem gewissen Grad als zweifelhaft gelten, so dass sich die Leute fragen, ob diese Firmen etwas verbergen wollen oder Angst vor dem haben, was ihre Mitarbeiter zu sagen haben“.

Wandel der Kommunikationslandschaft

Übertrieben für Europa und Deutschland? Wohl nicht. Fakt ist, dass auch bei uns intensiver denn je über einen radikalen Strukturwandel der Kommunikation diskutiert wird. Diese Diskussion unterstreicht auch eine zu Jahresbeginn veröffentlichte qualitative Studie, die untersucht, wie sich die PR auf den Wandel der Kommunikationslandschaft einstellen muss. Befragt wurden Entscheider für Unternehmens- und Produktkommunikation in 22 namhaften Industrie- und Dienstleistungsunternehmen. Die Studie „Wandel der Kommunikationslandschaft – Wandel der PR?“ wurde von der Universität Leipzig gemeinsam mit der GPRA Gesellschaft Public Relations Agenturen e.V. durchgeführt.

Adäquate Strategien für Corporate Communications in Zeiten des Web 2.0

Die Ergebnisse bestätigen denn auch die beiden Alt-Blogger: Der sich seit einiger Zeit vollziehende Strukturwandel der Medien hat natürlich nachhaltige Auswirkungen auf die Praxis der Public Relations. Die Verknüpfung von Strategie und Kommunikation sowie die Auswahl passender Instrumente für die Ansprache differenzierter Zielgruppen wird schwieriger. Das erhöht die Anforderungen an transparente Prozesse und Evaluationsmethoden sowie nicht zuletzt an Nachhaltigkeit und Wertgehalt der Informationen. Und während sich einige Unternehmen noch fragen, ob sie Web-2.0-Technologien wirklich nutzen wollen, verzeichnen andere schon Erfolge mit Blogs, Wikis und RSS-Feeds. Doch Vorsicht: Es reicht nicht einfach aus, die vorhandenen Informationen einfach in noch mehr Informationskanäle zu verteilen – das wäre kontraproduktiv –, sondern jede Empfängergruppe braucht eine adäquate Kommunikationsstrategie und Ansprache.

„Die Studie zeigt, dass der Bedeutungszuwachs aktiver Rezipienten und der schleichende Niedergang der Print-Medien erkannt sind“, so Studienautor Prof. Dr. Ansgar Zerfaß. „Die klassische Fokussierung auf Pressearbeit, Corporate Publishing und Events reicht künftig nicht mehr aus. Gefragt ist echte Dialogkompetenz in allen Kanälen – nicht aber ein rein modisches Umschwenken auf Online-Kommunikation und Social Media sowie Bewegtbilder oder IPTV, ohne diese an die eigene Strategie zu koppeln.“

„One Company – One Voice“

Wichtiger denn je ist die gute alte integrierte Kommunikationsstrategie – und zwar in doppelter Hinsicht. Die Unternehmensstrategie sollte die Kommunikationsstrategie mit einbeziehen und diese wiederum muss einheitlich auf die diversen Zielgruppen ausgerichtet werden. Mit immer fragmentierteren Zielgruppen werden Unternehmen auch mit einem Kontrollverlust konfrontiert, die gezielte Steuerung wird immer schwieriger. „One Company – One Voice“ wird mit den neuen Plattformen somit nicht obsolet, sondern gewinnt ebenso wie Nachhaltigkeit und Aufbau von Vertrauen besondere Bedeutung im oft nur noch begrenzt steuerbaren Dialog mit den Zielgruppen.

Wichtig für die Vertrauensbildung ist, dass sich Unternehmen auch immer wieder diesem Dialog stellen und nicht für sie kritische Zielgruppen von Anfang an ausgrenzen. Dabei sind auch eventuelle negative Kommentare im Internet kein Problem, denn sie können Vertrauen schaffen und sind auch als Chance zu sehen. Corporate Blogs müssen sich deutlich von platter Werbung abheben, um glaubwürdig zu bleiben.

Das Veröffentlichen von Pressemitteilungen in Blogs ist also alles andere als eine gute Idee. „Es kann überzeugender sein, wenn eine Firma gut auf einen negativen Beschuss reagiert und sich pragmatisch sowie offen der Kritik stellt. Das gibt den Unternehmen die so notwendige Glaubwürdigkeit und den Kunden das Gefühl, dass sich eine Firma um ihr Produkt kümmert,“
 so Johnny Haeusler vom Spreeblick-Blog. Viele Konsumenten reagieren auf einen solchen Dialog extrem positiv.

Im Zusammenhang mit der Vertrauensbildung ist es auch wichtig, bei strategischen Themen wie CSR oder „Green IT“ diesbezügliche Projekte im Unternehmen ganz genau auf ihre Nachhaltigkeit und ihren Wert hin zu überprüfen. Denn Vertrauen ist nur dann gerechtfertigt, wenn CSR und „Green IT“ auch gelebt werden und das Unternehmen als glaubwürdiger Agent und Gesprächspartner angesehen wird.

Umgang mit der neuen Vielfalt

Ebenso wie die guten alten Eigenschaften Offenheit, Transparenz und Authentizität, die verantwortlich sind für das Vertrauen in Unternehmen und die auch im Web-2.0-Zeitalter mehr denn je ihre Gültigkeit behalten, verschwinden auch die klassischen Qualifikationen der PR-Abteilungen oder der PR-Agenturen nicht. Aber sie müssen neu gewichtet werden, und es kommen neue Anforderungsprofile hinzu. Die Art von professioneller Kommunikation wird sich damit ändern. Zudem wird sie viel schneller und anspruchsvoller, da Informationen im Web schneller und länger wirken.

Den klassischen Pressesprecher wird es so künftig immer weniger geben. Sein Fokus liegt vielmehr auf dem Managen von Themen. Sie werden zu Moderatoren und Kommunikationsmanagern und müssen darauf achten, dass PR noch stärker mit den einzelnen Geschäfts- und Produktbereichen, Geschäftsführung und Entscheidern im Unternehmen verzahnt sind.

Für PR-Agenturen bedeutet dies, dass mehr und mehr strategische Beratung und Trendscouting gefragt sind. Die Evaluation der Kommunikation wird wichtiger und herausfordernder, da die Vielfalt der Zielgruppen sich permanent ändern. Gleichzeitig steht verstärkt die Frage nach der Wertschöpfung durch Kommunikation auf der Agenda.

Buchtipps:
Elektronische Unternehmenskommunikation (Gebundene Ausgabe), Edition Horizont von Frank M. Hein, 609 Seiten, Deutscher Fachverlag GmbH (dfv), 1. Auflage (2007), ISBN-13: 978-3866410787. 98,00 EUR

Handbuch Unternehmenskommunikation (Gebundene Ausgabe) von Manfred Piwinger und Ansgar Zerfaß, 930 Seiten, Verlag: Gabler, 1. Auflage (2007), ISBN-13: 978-3409143448. 129,00 EUR

„Naked Conversations (Gebundene Ausgabe) von Robert Scoble und Shel Israel, Verlag: Wiley & Sons, 1. Auflage (2006), ISBN-13: 978-0471747192. 22,95 EUR

Veröffentlicht von

Michael Zell

Michael Zell, Stakeholder Communication, Senior Director Customer Strategy, Kommunikationsagentur Fink & Fuchs Public Relations AG, Wiesbaden, Berlin, München