Sie schalten das Licht aus, tanzen Walzer, planen unsere Termine und sehen manchmal sogar richtig putzig aus: Service-Angebote mit Künstlicher Intelligenz (KI) sind heute schon normaler Teil unseres Alltags. Trotzdem haben wir Angst vor ihnen. Reinhard Karger, Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) weiß, warum wir Menschen so ambivalent reagieren – und wie er das kommunikativ auffängt.
Herr Karger, das Thema Künstliche Intelligenz schlägt in den Medien hohe Wellen, regt Fantasie und Ängste an. Sie als Experte beschäftigen sich schon lange damit. Wie hat sich hier die öffentliche Wahrnehmung verändert?
Das Thema Künstliche Intelligenz (KI) ist in den letzten Jahren stark in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt, die Wirtschaft erkennt das Potenzial der Technologie. Zu recht: Die Software wird immer leistungsfähiger, die Anwendungen zahlreicher und es stehen ausreichend Daten zur Verfügung, mit denen KI-Systeme trainiert und weiter verbessert werden können.
Im letzten Jahr hat KI für eine Menge Schlagzeilen gesorgt – viele davon waren eher kritisch.
Meiner Ansicht nach berichten die Medien verzerrt: Zum einen schüren sie Hoffnungen und unrealistische Euphorie. Die wissenschaftliche Machbarkeit spielt bei dieser doch stark verkürzten Darstellung oft keine Rolle mehr. Zum anderen rufen sie überzogene Befürchtungen hervor: Der Mensch würde von Maschinen dominiert. Science-Fiction-Bilder bestimmen die öffentliche Atmosphäre und es wirkt so, als hätte der Mensch seine beste Zeit hinter sich. Selten sehen wir hier die notwendige Präzision oder eine differenzierte Berichterstattung. Die Leserinnern und Leser sind außerordentlich interessiert, werden aber noch nicht wirklich gut informiert.
Das DFKI kann gegen dieses schiefe Bild von KI doch gut arbeiten, oder?
Das stimmt. Wir zeigen konkrete Ergebnisse, erläutern, wie wir sie erreicht haben und was das bedeutet. Anschauung hilft! Auf dieser Basis kann man dann die eigentlichen Fragen adressieren: Was genau ermöglicht der Einsatz von KI-Technologie heute? Was ist noch nicht möglich, aber mittelfristig erwartbar? Was sind aktuell die Grenzen der wissenschaftlichen Erkenntnis? Aber eben auch: In welche Richtung und mit welchen Leitplanken soll KI weiterentwickelt werden? Unser Claim lautet „KI für den Menschen“.
Wie sieht Ihre Strategie in der Medienarbeit aus?
Wir geben Interviews, schreiben Artikel und veröffentlichen in Beilagen. Wir nehmen als Sprecher an Konferenzen, Podiumsdiskussionen, Events und Messen teil und reden viel mit Journalisten – ganz normale Presse- und Öffentlichkeitsarbeit also. Wir sprechen mit BILD und Brigitte genauso wie mit dem SPIEGEL oder der Washington Post. Und bei diesen Gesprächen lernt man sehr viel darüber, welche Beispiele funktionieren und welche weiteren und durchaus neuen Fragestellungen sich ergeben.
Wie kann ein zielführender Dialog entstehen?
Wir brauchen informierte Medien, die über einen informierten Dialog zu einer informierten Öffentlichkeit führen, damit man wirklich darüber reden kann, was eigentlich passieren soll und welche KI-Entwicklungen als gesellschaftlich wünschenswert erachtet werden. Das Interessante daran ist, mit der Öffentlichkeit über den Begriff „Intelligenz“ zu diskutieren, und dass man Dimensionen von Intelligenz unterscheiden muss. Zum Beispiel gibt es viel zu wenig Aufmerksamkeit dafür, dass Menschen bei sensomotorischer Intelligenz jeder Maschine haushoch überlegen sind – und noch lange sein werden. Das sehen Sie beim Schließen eines Hemdknopfs oder beim Binden eines Schnürsenkels. Das beeindruckt uns aber nicht, denn „das kann ja jedes Kind“. Maschinen können das nicht. Weil es „nichts Besonderes“ ist, scheint es fälschlicherweise auch keine Herausforderung zu sein. Ist es aber! Menschen fehlt oft die Wertschätzung des Menschlichen.
Derartige Vergleiche finden in der öffentlichen Diskussion aber kaum statt. Da geht es eher um den unbesiegbaren Computer beim Go- oder Schachspielen.
Menschen halten die kognitive Intelligenz hoch. Wir sind verständlicherweise sehr stolz auf unsere Wissensleistungen und beeindruckt von Spezialbegabungen, weil sie eben „’was Besonderes“ sind. Das verstellt aber oft den Blick für die Komplexität der menschlichen taktilen Fähigkeiten, die aber Voraussetzung z.B. für die Produktion sind. Dinge zu nehmen, aufzuheben, weiterzugeben und zum richtigen Zeitpunkt loszulassen, ist für Menschen ganz normal. Gleiches gilt für emotionale oder soziale Intelligenz, also das Verständnis der Bedürfnisse meines Gegenübers oder die Interaktion in Gruppen (s. Grafik). Das sind für Teamarbeit essenzielle Fähigkeiten – was übrigens genauso für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI gilt. Der Roboter übernimmt repetitive Tätigkeiten. Das Anspruchsvolle, wie die Qualitätssicherung der Maschinen, das übernimmt der Mensch. Damit das Miteinander von Mensch und Maschine in der Produktion gelingt, muss der Roboter den Plan des Menschen erkennen, er muss die sozialen und emotionalen Signale der menschlichen Teammitglieder deuten und darauf angemessen eingehen können.
Bei Alexa, Siri & Co. gibt es schon bei deren Grundfunktionen Nachbesserungsbedarf.
Systeme wie Alexa, Siri oder Cortana sind in ihrer Dialogfähigkeit noch deutlich ausbaufähig. Das liegt daran, dass der Erkenntnisstand der Wissenschaft noch lange nicht ausreicht, um Systeme zu bauen, die unseren Dialogbedürfnissen entsprechen und die im situativen Kontext adäquat reagieren. Unterhaltsamer Small-Talk zum Beispiel hat lebensweltlich einen erstaunlichen Komplexitätsgrad. Die Leute haben kaum eine Vorstellung davon, wie viel Alltagsintelligenz für diese Art von Konversation nötig ist.
Ist die Angst vor KI nicht absurd, wenn man tagtäglich mit den beschränkten Fähigkeiten von Alexa und Siri konfrontiert wird?
Es ist erstaunlich, dass die Leistungsfähigkeit von Alexa & Co. nicht zu öffentlichen Beschwerden führt. Siri wurde bereits 2011 eingeführt und ich hätte gedacht, dass diese Anwendungen schneller Fortschritte machen. Ich nehme sprechende Beispiele immer in meine Vorträge mit. Das reduziert Nervosität, die Menschen sind zufriedener mit sich und der Welt und haben aber auch deutlich mehr Wertschätzung für ihre eigene Alltagsintelligenz.
Bei der KI Pepper, einem Roboter, der den Menschen simuliert, sind wir nachsichtiger?
Naja, das Kindchen-Schema lässt ihn sicher ganz süß wirken. Die Nachsichtigkeit hört aber dann auf, wenn Sie mit Pepper etwas erreichen wollen und seine Leistung doch überschaubar bleibt. Wenn Pepper beispielsweise in Concierge-Situationen in einem Laden voll mit Menschen eingesetzt wird, wo es auch noch laut ist, versteht er selten, dass er angesprochen wird. Wenn er dann doch reagiert, merkt man, dass er die Frage nicht verstanden hat, weil Spracherkennung bei diesem Geräuschpegel noch überfordert ist. Offenbar lassen sich solche Systeme heute teuer verkaufen, obwohl sie nicht im Ansatz das leisten, was man erwartet.
Ist der Einsatz von Pepper als Conversational Companion für einsame Menschen ein Modell der Zukunft?
Das mag ja auf den ersten Blick ganz sinnvoll klingen. Pepper hat Kameras als Augen, Arme, mit denen er gestikuliert und er kann sprechen. Auf seinem „Brustkorb“ ist ein Tablet montiert, auf dem Pepper Fotos oder Videos anzeigen kann. Aber wir sprechen hier über ein teilhumanoides rollendes System. Treppen steigen kann er nicht, also ist die Bewegung in ein anderes Stockwerk oder über einen Hochflorteppich schon ein Problem. Trotzdem wird bereits jetzt die Realität eines Conversational Companion suggeriert, inszeniert und idealisiert – das ist Desinformation der Öffentlichkeit. Insofern müsste man sich darüber unterhalten, ob und wie man zu Systemen kommt, mit denen deutlich mehr Interaktion und Dialog möglich ist. Man hat mittlerweile bessere Spracherkennung, kann Relationen besser identifizieren, Inhalte besser extrahieren und kommt in einem Dialogsystem zu einem besseren Antwortverhalten. Wenn ich das jetzt sehr viel weiterdenke, erlauben Sie mir den Sprung, dann kann es durchaus möglich werden, dass ich den Companion mit den Informationen aus meinem Leben füttere, dass die künstliche Stimme so klingt wie mein verstorbenes Familienmitglied und eine Unterhaltung möglich wird über die „gemeinsamen“ Urlaube. Die Frage ist, wollen wir das? Und ich meine das ganz ergebnisoffen.
Dann werden Roboter uns irgendwann wenigstens bei der Arbeit unter die Arme greifen?
Ganz bestimmt. Es gibt viele Szenarien, in denen Roboter stupide, ergonomisch belastende oder gefährliche Aufgaben für uns übernehmen werden. Beispielsweise Tätigkeiten in der Ruine des Atomkraftwerks von Fukushima oder das Löschen von Waldbränden auf großen Flächen. Es gibt auch schon sehr reale tägliche Anwendungsszenarien. Zum Beispiel die Zukunft der Pflege. In der ambulanten Pflege wird es so sein, dass man hybride Teams aus Pfleger und Roboter brauchen wird, damit man überhaupt die Folgen des demografischen Wandels ab dem Jahr 2035 auffangen kann. Dafür ist es notwendig, dass Maschinen eine solch herausragende sensomotorische Intelligenz haben, dass sie Menschen bei Bewegungen, die ihnen schwerfallen, auch wirklich unterstützen können.
Wie beurteilen Sie die Investitionen in KI auf Bundes- und EU-Ebene?
Ich finde, die KI-Strategie auf Bundesebene ist ausgezeichnet und es ist wirklich nicht meine Welt, wenn immer gesagt wird „aber in China wird viel mehr investiert“. Die Idee, staatlich 3 Milliarden Euro zu investieren, ist eine evidente und satte Leistung. Dass man damit u.a. auch 100 KI-Lehrstühle schaffen will, finde ich sportlich, denn dazu braucht man eben auch 100 Professoren und Professorinnen. Und: KI ist mehr als MINT. Mir würde es sehr gut gefallen, wenn KI noch interdisziplinärer gedacht und KI-Know-how in vielen Fakultäten vermittelt wird.
Über Reinhard Karger
Unternehmenssprecher Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, DFKI
Reinhard Karger studierte theoretische Linguistik und Philosophie in Wuppertal,
war Assistent am Lehrstuhl Computerlinguistik der Universität des Saarlandes und wechselte 1993 zum DFKI. Seit 2000 leitet Reinhard Karger die Unternehmenskommunikation, seit 2011 ist er Unternehmenssprecher des DFKI.
Reinhard Karger ist Mitglied der Jury des “Ausgezeichnete Orte”-Wettbewerbs von Deutschland – Land der Ideen, war von Mai 2014 bis Juni 2017 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Information und Wissen e.V. (DGI), ist seit Februar 2017 MINT-Botschafter des Saarlandes und wurde im März 2018 zu einem der 100 Fellows des „Kompetenzzentrums für Kultur- und Kreativwirtschaft“ des Bundes ernannt.
Herr Karger ist Unterstützer unserer “Initiative Zukunftsoptimismus”.