Thomas Dillmann vom PR-Journal schreibt das, was jeder über den Kongress denkt: „Kommunikationskongress in Berlin, das ist wie ein Klassentreffen im großen Maßstab.“ Die Branche kennt sich und somit dient die Veranstaltung für die meisten Besucher überwiegend dazu, Kontakte zu pflegen und sich auszutauschen über das, was war, was ist und was kommt. Die Qualität des Vortrags- und Workshop-Programms war durchwachsen: „Mein Eindruck: Je bekannter der Absender, desto geringer der Aufwand für den Vortrag und desto weniger Mühe geben sich die Vortragenden. Dienstleister hängen sich da wesentlich mehr rein. Auch der inhaltliche Erkenntnisgewinn hielt sich in Grenzen. Oft werden einfach Maßnahmen vorgestellt, ohne auf Erfolgsmessung und Erfolge einzugehen. Die reine Umsetzung des Projekts wird zum Erfolg erklärt – mehr nicht“, so das Resümée von Michael Grupe, unserem Vorstand. Doch auch hier ist die Sicht bekanntermaßen eine subjektive, denn nicht jeder teilte sie und es gab bei 150 Referenten auch eine Reihe inspirierender Vorträge für die 1.400 Teilnehmer.
So würden wir allen, die es nicht zum Kongress geschafft haben, definitiv die Keynotes von Roger Willemsen und Prof. Dr. Viktor Mayer-Schönberger ans Herz legen. Willemsen führte mit seinem hochintellektuellen Parforceritt durch die Kulturgeschichte des Streits und der Aufklärung.
Mayer-Schönhuber mahnte zum respektvollen und umsichtigen Umgang mit Big Data, zeigte aber auch Potenziale auf. Im Grunde, so seine Aussage, suche der Mensch immer nach dem „Warum“ – doch manchmal reiche es auch aus, Tatsachen zu kennen und das Wissen zu nutzen ohne den Sinn dahinter zu erkennen. Als Beispiel nannte er die Erkenntnis einer Informatikerin, die ein Muster herausfand, durch das die Anzeichen eines drohenden Todes von Frühgeborenen erkannt werden können. Dadurch konnte die Sterberate deutlich reduziert werden, obwohl das Muster aus rein medizinischer Sicht nicht logisch ist. Gleichzeitig sei es äußerst wichtig, sich nicht immer nur auf Daten und Analysen zu stützen, sondern auch den gesunden Menschenverstand einzuschalten.
Bei den Fachveranstaltungen stach für mich der sehr unterhaltsame Vortrag von Thomas Mickeleit heraus, Thema: “Brand Journalism vs. Content Marketing – Wer orchestriert die Kommunikation und wie?”. Mickeleit sieht “Content Marketing als Angriff des Marketing auf die Kernkompetenzen der PR“. Seine vier Gründe, warum PR der eigentliche Content King ist: Dialogfähigkeit, Relations, Nachhaltigkeit und Themenkompetenz. Zudem beschrieb er sehr anschaulich, wie sich seine PR-Abteilung mit einer Newsroom-Organisation und interessanten technischen Lösungen effizient auf die durch Digitalisierung, Social Media & Co. erwachsenden Veränderungen einstellt.
Im Vortrag von Michael Grupe und Andreas Scheuermann stand der Dialog mit Mitarbeitern und Bewerbern im Vordergrund. Kernthese: „Die Zukunft der Arbeitgeberkommunikation ist Improvisationstheater – und das Publikum bestimmt das Programm mit“. Diskutiert wurde vor diesem Hintergrund unter anderem über die Glaubwürdigkeit von Employer Branding-Maßnahmen, die Bedürfnisse unterschiedlicher Bewerber-Zielgruppen und neue Herausforderungen wie Arbeitgeberbewertung im Internet. (Mehr zum Thema)
Interessant – und das nicht, weil unser Vorstand Stephan Fink moderierte – war die Diskussionsrunde „PR im Mittelstand – Luxus oder Notwendigkeit?“. Marlies Schäfer, Pressesprecherin beim Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), hört oft die Aussage „Man kennt uns, wir brauchen keine Kommunikation“, meist ausgesprochen von Geschäftsführern mittelständischer Maschinenbau-Unternehmen. Diese Haltung sei allerdings längst überholt. Zwar seien die Regeln andere, wenn anders als in einem Konzern nur zwei oder drei Personen die Kommunikationsabteilung bilden, doch die Bedeutung von Kommunikation sei genauso vorhanden.
Die Diskutanten waren sich einig, dass die wichtigsten aktuellen Herausforderungen für den Mittelstand Digitalisierung, Employer Branding und – wo nötig – Internationalisierung heißen. „Mittelständler müssen fokussiert arbeiten und Schwerpunkte setzen“, so Prof. Claudia Mast von der Universität Hohenheim. Manches müsse man auch einfach mal machen – so sind bei der Trumpf GmbH & Co KG auch Azubis für ausgesuchte Facebook-Auftritte zuständig. Wenn mal Fehler passieren, sei der Mittelstand im Vorteil: „Wir stehen nicht so sehr unter Beobachtung wie große Konzerne, das ermöglicht uns mehr Freiheit“, so Claus Zemke, Leiter der Unternehmenskommunikation bei Trumpf.
Ein zentrales Thema sind die Employer Relations: Gerade im eher unbekannten Mittelstand sei es äußerst wichtig, Mitarbeiter als Botschafter zu erkennen und Kommunikation gezielt zu nutzen, um als Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. (Lesetipp: “Häberle ist nicht dabei”) Auch bei der für knapp 20 Prozent des deutschen Mittelstands relevanten Frage der Internationalisierung gehe es zwar voran, aber es bestehe nach wie vor viel Luft nach oben.
Die Diskussion zum Stand der Digitalen Transformation in der Mittelstandskommunikation beschränkte sich auf die oft noch zaghaft eingesetzten Social Media. Alleine das Thema Digitalisierung wäre wohl eine eigenständige Veranstaltung wert gewesen, insbesondere wenn man die vielfältigen digital getriebenen Veränderungsprozesse in Marketing und Kommunikation betrachtet.
Um die anstehenden Herausforderungen zu meistern und noch erfolgreicher zu werden, wünschen sich die Diskutanten von ihren Chefs, den mittelständischen Unternehmern: Mehr Professionalität in der Kommunikation, Employer Relations als Chefsache, den Fokus von Marketing auf die Gesamtkommunikation ausweiten und nicht zuletzt die Offenheit und den Mut von Unternehmerpersönlichkeiten, die von Ihnen aufgebauten Geschichten zu erzählen und in die Öffentlichkeit zu tragen.
Für uns waren die Veranstaltung und die Gespräche im Anschluss von besonderem Interesse, da wir Mitte Oktober unser neues Forschungsprojekt mit der Universität Leipzig starten. Kernthema ist Mittelstandskommunikation.
Insgesamt war das „Klassentreffen“ wie immer ein Gewinn, mit interessanten Impulsen durch Vorträge und vor allem die vielfältigen Gespräche mit Kollegen. Wer nicht vor Ort war, findet übrigens im Dossier “Kommunikationskongress” des Magazins Pressesprecher einige Beiträge und Interviews zum Kongress, und im YouTube-Kanal der Veranstaltung sind ausgesuchte Live-Mitschnitte der Vorträge zu finden.
Übrigens empfehlen wir wie immer, sich das jährliche Gedicht zur Lage der PR von Jörg Thadeusz anzuhören, der mit Charme und Witz durch die Speakersnight am Donnerstag Abend führte: