Diese geschlechterspezifische Annahme kommt auf, wenn man die Ergebnisse des jüngst veröffentlichten European Communications Monitors (ECM) und des Leadership Communication Monitors (LCM) von Ketchum Pleon vergleicht: Bei den Befragten des ECM punkten Frauen mit Managementqualitäten, Emotionalität und Einfühlungsvermögen. Im LCM, in dem branchenübergreifend das Thema Führung untersucht wird, honorieren die Teilnehmer das Eingestehen von Fehlern, offene und transparente Kommunikation sowie die vorbildliche Führung weiblicher Führungskräfte. Soweit die Statistik.
Stellt man diese Eigenschaften in Summe den im LCM identifizierten „Wunschqualitäten“ für gute Führungskräfte gegenüber, sind Frauen vielleicht öfter die bessere Besetzung für die Spitze: als wichtigste Eigenschaften wurde von den Befragten angegeben, dass Führungskräfte mit gutem Beispiel vorangehen (64%) sowie offen und transparent kommunizieren (60%) sollten. Grund genug für das Magazin Pressesprecher zu titeln: „Frauen an der Spitze sind beliebt“.
Die Ergebnisse des ECM bestätigen, dass beide Faktoren von Frauen in der Kommunikationsbranche als wichtiger eingeschätzt werden als von Männern – entsprechend ist es also kein Wunder, dass eben diese die beliebteren Führungskräfte sind. Glaubt man der jährlichen Studie „Woman Matter“ des Beratungsunternehmens McKinsey, so tragen sie auch wesentlich zur positiven Performance von Unternehmen bei: Dort, wo Frauen zum Top Quartile des Top Managements gehören, ist diese deutlich besser (+47% bei durchschnittlichen Return on Investment, +55% beim Ergebnis vor Zinsen und Steuern (EBIT)).
Unterschiede in der Wahrnehmung
Doch wie sieht es allgemein mit den Unterschieden zwischen Männern und Frauen in der Kommunikationsbranche aus? Welche Vorurteile herrschen weiter vor und welche sind überholt? Gibt es Unterschiede in der Wahrnehmung von Männern und Frauen, und wie sieht es mit den Rahmenbedingungen aus? Der ECM liefert dazu empirische Daten und untersucht, ob sich durch die Debatte um Frauen in der Kommunikation auch die grundsätzliche Haltung verändert hat.
Sowohl Männer als auch Frauen verneinen die These, dass die Feminisierung zu einem insgesamt softeren Image der Branche führt (36,6% verneinen, 33,4% sind neutral, 30% stimmen zu). Unterschiedlicher Meinung sind sie jedoch hinsichtlich der Professionalisierung: Frauen sehen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen einen deutlichen Anstieg, ebenso in Richtung symmetrischer Kommunikation. Nimmt man beide Geschlechter zusammen, teilt ein Drittel der Befragten diese Einschätzung.
Dennoch bestehen anscheinend auch für weibliche PR-Professionals die üblichen Barrieren, die den beruflichen Erfolg bremsen. Interessant ist der große Gap zwischen der Einschätzung dieser Situation durch Männer und Frauen. Nur bei einem Aspekt sind beide Geschlechter einer Meinung: Frauen benötigen mehr Raum, um private Angelegenheiten zu organisieren, beispielsweise für die Betreuung von Kindern oder anderen Angehörigen (38,2% Zustimmung).
Frauen sind der Meinung, sie müssen härter arbeiten für den gleichen Erfolg
Sehr groß ist auch die unterschiedliche Wahrnehmung hinsichtlich der Leistungsbewertung: Frauen sind klar der Meinung, dass sie härter arbeiten müssen, um den gleichen Erfolg zu erlangen wie ihre männlichen Mitstreiter. Gleiches gilt für den Aufbau einer hochwertigen, stabilen Beziehung zu Führungskräften, dem Vorhandensein unsichtbarer Hürden und die Anerkennung ihrer Leistung. In all diesen Punkten sehen sie sich benachteiligt, wohingegen Männer diese Einschätzung nicht teilen.
Die Studie belegt, dass viele traditionelle Vorurteile in Europa nach wie vor vorhanden sind. Männer werden als aggressiver eingeschätzt, können sich besser vermarkten, sind selbstsicherer und politisch sattelfester. Frauen hingegen sind einfühlsamer, und selbstkritischer, aber besser hinsichtlich ihrer Managementqualitäten, wie bereits eingangs erwähnt.
Diese Unterschiede finden sich auch im Vergleich der Gehälter wieder: Männer werden nach wie vor deutlich besser bezahlt. Betrachtet man die Bezahlung des Top Managements, also der Kommunikationsleiter, so erhalten 45 Prozent der Männer über 100.000 Euro, wohingegen gerade einmal 23,3 Prozent der Frauen in gleicher Position auf das gleiche Gehalt kommen.
Alles in allem scheint es nicht unbedingt eine Frage des Geschlechts, sondern mehr die der Eigenschaften insgesamt zu sein. Denn es gibt durchaus ebenso Männer mit einem hohen Einfühlungsvermögen und Frauen mit großem Selbstvermarktungspotenzial. Interessant ist daher auch der Beitrag „Im Geiste androgyn“ im aktuellen Magazin Pressesprecher mit den Ergebnissen einer Umfrage unter Kommunikationsmanager und -managerinnen hinsichtlich Rollenklischees. Es gibt zwar Themen, die jeweils von Frauen oder Männern glaubwürdiger kommuniziert werden können (beispielsweise Kosmetik von Frauen). Aber das Fazit der Kurz-Umfrage ist, dass es mehr um Themengespür geht als ums Geschlecht.
Es kommt auf die individuelle Qualität an
Als auch für den Bereich Personal verantwortlicher Vorstand einer Agentur mit 40 Prozent weiblichen Führungskräften und zwei Drittel weiblichen Mitarbeitern, kann ich sagen, dass ich mir ebenfalls mehr Ausgewogenheit, Leistungsgerechtigkeit und mit Sicherheit in Industrie und Verwaltung auch mehr weibliche Führungskräfte wünsche. Dennoch ist das Geschlecht für mich weder ein Auswahl- noch ein Bewertungskriterium. Es zählt immer die Individualität des jeweiligen Gegenübers, ob Bewerber/in, Mitarbeiter/in oder Kollege/in der Industrie.
Mit großem Interesse beobachte ich allerdings die Entwicklung bei den Hochschulabgängern der Studiengänge rund um Kommunikation. Die Zahl der weiblichen Absolventen liegt teilweise schon sehr deutlich über 50 Prozent, was sich auch seit Jahren in den Bewerbungen für unsere Volontariate oder andere Stellen wiederspiegelt. Aus unseren Teams kam nicht nur einmal der Wunsch: “Könnt Ihr vielleicht mal einen Mann einstellen?”.