Wie soll man auf die explosionsartig ansteigenden Mitgliederzahlen von Social Communities reagieren? Was ist Twitter und muss man hier jetzt mitmachen? Um welche Maßnahmen erweitert man seine PR- und Marketingkonzepte in Richtung Social Media? Wer übernimmt diese Aufgabe und welche Qualifikationen muss die Person mitbringen? Wie sind die Zielgruppen erreichbar und wie hat das geänderte Mediennutzungsverhalten deren Kommunikationsverhalten beeinflusst? Prof. Dr. Pleil von der Hochschule Darmstadt beantwortete unsere Fragen:
Social Media boomen, klassische Medien verschwinden vom Markt und das Mediennutzungsverhalten ändert sich dramatisch. Entsprechend verlagert das Marketing seine Aktivitäten ins Internet. Wie sieht es mit der PR oder Unternehmenskommunikation aus? Verpassen PR-Verantwortliche gerade den Medienwandel?
Ich habe nicht den Eindruck, dass das Marketing der PR beim Schritt ins Netz voraus ist. Einige Unternehmen haben auf beiden Gebieten interessante Projekte entwickelt, andere sind eher zögerlich. Dies gilt insbesondere für das Social Web. Hier sind die Barrieren sicher besonders hoch: Zum einen ist die Entwicklung dort für viele Praktiker nach wie vor nur schwer nachvollziehbar, zum anderen unterstelle ich, dass viele dem Social Web eine noch geringe Bedeutung bemessen bzw. dieses in der aktuellen Diskussion für überbewertet halten. Tatsächlich haben manche Diskussionen um einzelne Tools hype-artige Verläufe, die allerdings nicht darüber hinwegtäuschen sollten, dass sich die öffentliche Sphäre in einem Wandel befindet. Die meisten PR-Verantwortlichen haben dies realisiert und sehen in der Online-Kommunikation eine ihrer größten Herausforderungen für die nächsten Jahre. Allerdings bietet das Social Web nicht einfach neue Kommunikationskanäle, sondern Unternehmen, die dort akzeptiert werden wollen, müssen sich der Netzkultur unterwerfen. Transparenz, Vertrauen, Geschwindigkeit, Beziehungsmanagement und Dialogbereitschaft sind Anforderungen, die eine PR-Abteilung vor schwer lösbare Schwierigkeiten stellen kann und eben mehr bedeuten, als einfach ein neues Instrument einzusetzen. Deshalb habe ich Verständnis für Unternehmen, die sich auf diesem Feld erst sehr vorsichtig bewegen.
Welche Rolle werden Social Media und insbesondere Online-Communities zukünftig im Arbeitsalltag von PR-Beratern und Kommunikationsmanager in Unternehmen in Zukunft spielen? Welche Potenziale zur Inszenierung der eigenen Marken oder Produkte sehen Sie in Online-Communities?
Social Media erzeugen nach meinem Verständnis einen vormedialen und hochvernetzten Raum. Dieser Raum wird für die Meinungsbildung vieler Stakeholder zunehmend bedeutsam. In ihm werden Weblogs oder Podcasts veröffentlicht, aber auch Kundenrezensionen, Bewertungen von Arbeitgebern etc. Communities zählen ebenso dazu; sie sind in den letzten Monaten rasant gewachsen, und im Moment ist davon auszugehen, dass sich diese Entwicklung fortsetzt. Dabei geht es nicht nur um die großen, allgemeinen Communities wie Facebook, Wer kennt wen, StudiVZ oder Xing, sondern zunehmend auch speziellere Communities. Unternehmen haben zwei Möglichkeiten: Sie können dorthin gehen, wo ihre Stakeholder sind und beispielsweise ihre Marken in große Communities bzw. Social Networks bringen. Oder sie schaffen eine eigene Community rund um eine Marke oder eine Produktfamilie. Entscheidend für den Erfolg solcher Aktivitäten ist der Nutzen, den diese ihren Mitgliedern bieten kann. Und hier wird ein sehr gutes Konzept benötigt. Leider missverstehen jedoch manche Unternehmen das Thema Community und meinen, sie müssten vor allem technisch tolle Funktionen zur Verfügung stellen, dann werde die Sache schon laufen. Meist läuft auf dieser Basis jedoch gar nichts, sondern in eine Community muss Zeit und Personal investiert werden. Das bedeutet: Kommunikationsmanager, die Strategien für Communities entwickeln, müssen darin auch konsequent präsent sein.
Wäre die Schaffung neuer PR-Funktionen wie Social Media Manager bzw. Community Manager ein Schritt in die richtige Richtung?
Generell sollten mindestens exponierte Mitarbeiter eines Unternehmens in relevanten Communities sichtbar sein. Aber wenn es um die Entwicklung und Umsetzung aktueller Strategien geht, erscheint mir eine Funktion wie ein Social Media Manager tatsächlich als sinnvoll. Ich sehe einen Social Media Manager in einer Doppelrolle. Einerseits ist er Stratege und Scout, der die neuesten Entwicklungen im Netz kennt und ihr Potenzial für die Unternehmenskommunikation abschätzen kann und der eine Verbindung zur allgemeinen Unternehmens- und Kommunikationsstrategie sicher stellt. Andererseits arbeitet der Social Media Manager im vormedialen Raum als Repräsentant seines Unternehmens. Hierzu gehört es, Rede und Antwort zu stehen, Beziehungen aufzubauen, Mehrwert für die Stakeholder zu schaffen und im Netz diskutierte Ansprüche an das Unternehmen wahrzunehmen, zu bewerten und nach innen zu tragen. Einzelne Unternehmen haben eine solche Funktion bereits eingeführt und fahren nach meiner Beobachtung recht gut damit.
Wenn man den Micro-Blogging Dienst Twitter betrachtet, gewinnt man den Eindruck, dass heute per Newsletter verbreite Informationen schon gestern getwittert wurden. Können sich Unternehmen überhaupt noch leisten nicht zu twittern?
Da gibt es sicher solche und solche. Aus meiner Sicht kann man nicht pauschal sagen, ein bestimmtes Tool ist wichtig oder nicht. Stattdessen plädiere ich dafür, individuell zu entscheiden, und zwar in Abhängigkeit von Kommunikationszielen, dem Mediennutzungsverhalten der eigenen Stakeholder etc. Klar scheint mir, dass die Kommunikation immer vielfältiger wird und PR-Instrumente in der Tendenz Breitenwirkung verlieren. Dies führt zu zwei Schwierigkeiten: Je mehr Kanäle bedient werden müssen, desto aufwändiger wird die Sache mit Blick auf die Ressourcen und desto schwieriger wird es, Inhalte sozusagen crossmedial aufzubereiten – damit eben der Newsletter gegenüber dem Twitterstrom immer noch einen Mehrwert bietet.
Wir beobachten, dass eine steigende Zahl an Bloggern ihre inhaltlich recht interessanten Angebote ausdünnt und verstärkt in Twitter aktiv ist. Ist der Boom der Blogs vorbei und kommt die Zeit der allgegenwärtigen 140-Zeichen-Nachricht, die oft nur aus Links zu Beiträgen von Dritten besteht?
Diese Folgerung teile ich nicht. Tatsächlich erscheint es mir – zumindest bei den Blogs, die ich seit einigen Jahren verfolge – so, dass dort weniger Beiträge veröffentlicht werden. Nach meinem Eindruck haben vor allem die kurzen Beiträge, die auf andere Blogposts verweisen und Orientierung schaffen, an Bedeutung verloren. Dies läuft weitgehend über Twitter. Aber Twitter kann nicht mehr als eine Teaserfunktion haben. Ich würde Ihre Folgerung deshalb sogar umdrehen: Gerade Twitter verlangt nach guten, anteaserbaren Inhalten. Und die stammen zum großen Teil entweder aus Online-Redaktionen oder aus Blogs. Das heißt, mit einem guten Blogkonzept kann heute dank Twitter und anderen Möglichkeiten der Syndizierung wie Lifestreams oder Social Networks mehr Aufmerksamkeit erreicht werden als noch vor zwei Jahren.
Welche Rolle spielt in diesem Zusammenhang das Web-Monitoring insbesondere von Online-Communities oder Micro-Blogging Diensten?
Im Social Web aktiv zu sein, bedeutet zunächst: Zuhören lernen. Anders ausgedrückt: Ohne ein Mindestmaß an Web-Monitoring sollte kein Unternehmen auskommen. Das muss nicht immer eine große und teure Lösung sein, sondern die Art und der Umfang ist wiederum eine strategische Entscheidung, die von der Situation des einzelnen Unternehmens abhängt. Ein Beispiel: Für ein hochspezialisiertes B2B-Unternehmen ergeben sich naturgemäß andere Anforderungen als für einen Markenartikler. Wobei die Spannweite bei bloßer Online-Beobachtung beginnt und bis zur Schaffung spezieller Angebote reicht, auf denen z.B. die Rückmeldungen von Stakeholdern gebündelt werden bzw. Stakeholder zu Rückmeldungen motiviert werden.
Erfolg und Misserfolg im Web 2.0 – Herr Prof. Dr. Pleil, können Sie ein paar besonders gute oder auch schlechte Beispiele für PR im Web 2.0 nennen?
Es gibt ein paar Standardfallen, in die Unternehmen immer wieder tappen. Hierzu gehört beispielsweise der Glaube, unliebsame Inhalte mit rechtlichen Mitteln aus dem Netz entfernen lassen zu können. In den meisten Fällen führt dies zum Gegenteil: Einem Erdbeben gleich können sich solche Inhalte im Netz verbreiten. Andere Faux pas beziehen sich auf das Nicht-Verstehen der erwähnten Netzkultur: Dazu zählt das strikte Publizieren werbeähnlicher Botschaften ohne Dialogfähigkeit, aber auch das Verschleiern der eigenen Identität. Immer wieder kommt beispielsweise vor, dass vermeintliche Privatpersonen in Blogs oder Foren ein spezielles Produkt empfehlen, es sich aber in Wirklichkeit um Agentur- oder Unternehmensmitarbeiter handelt. Ohne ethisch zu argumentieren: Die Gefahr, dass solche Maßnahmen gerade im Internet aufgedeckt werden und sich die Sache verselbständigt, wäre mir viel zu groß.
Gelungen ist dagegen, wenn der Social Media Manager eines Automobilkonzerns auf Twitter mitbekommt, dass sich ein Konflikt zwischen Stakeholdern und seinem Unternehmen anbahnt, er zur Klärung beiträgt und damit eine veritable Kommunikationskrise verhindert. Oder wenn eine Kaufhauskette in ihrer Facebook-Gruppe erfährt, dass sich die Kunden an einem bestimmten Standort eine zusätzliche Filiale wünschen. Aber allein schon ein gewisses Reputationskapital online aufzubauen und damit z.B. Fürsprecher für die Produkt- oder bei Bedarf für die Krisenkommunikation zu gewinnen, sehe ich als Erfolg.