Die letzten 50 Jahre Medienforschung sorgten für immer ähnliche Diskussionen. Neue Medien sind gefährlich, das Bildungsniveau sinkt, die Jugend nutzt andere Medien und kritische Themen wie Suchtgefahr, Gewalt und verabscheuungswürdige Inhalte in Fernsehen, Computerspielen oder Internet stehen im Zentrum der Betrachtung. Die Chancen des Neuen finden seltener breite Aufmerksamkeit. Der Diskurs ist aktuell – in der beginnenden Web 2.0 Debatte – lauter denn je und in 20 Jahren, werden wohl ähnliche Aspekte diskutiert wie heute. Eine zentrale Frage bleibt jedoch unbeantwortet: Wer sorgt dafür, dass die Medienkompetenz mit der rasenden Entwicklung Schritt hält? Das betrifft nicht nur die Jugend, die spielerisch das Neue nutzt, sondern auch und vor allem Erwachsene, die neue Medien oft selbst nicht verstehen und deshalb den vernünftigen Umgang damit nicht vermitteln können?
Eine völlig neue Qualität bekommt die Diskussion durch die Internet-getriebene Medienkonvergenz und den Hype um das Mitmach-Web 2.0. Medien werden nicht mehr nur konsumiert sondern dank Partizipationsoptionen und Mobilität zum allgegenwärtigen Alltagsbestandteil. Vor allem junge Menschen bauen via Studivz, Youtube & Co ihre eigenen Welten auf. Sie organisieren soziale Netze, kommunizieren und entwickeln bei der eigenen Inszenierung im Netz mit völlig neuen Tools vor allem eigene Ausdrucksformen. Mittlerweile tragen die sogenannten „Digital Natives“ diese Entwicklung bis in die Arbeitswelt 2.0, mit einer Vielzahl positiver Impulse. Es geht in Richtung völliger Vernetzung aller Lebensbereiche mit elementaren Rückwirkungen auf Informationsverhalten, Arbeitsweise, Freizeitgestaltung und soziale Umgangsformen des Einzelnen.
Die Geschwindigkeit und Nachhaltigkeit der Veränderungen stellt alle Beteiligten vor eine Mammutaufgabe. Während die Haushaltsvernetzung der Vollversorgung zustrebt und Arbeitsplatzrechner selbstverständlich sind, dokumentieren Untersuchungen in allen Altersgruppen Defizite im Umgang mit beruflich unverzichtbarer Basissoftware. Gleiches gilt für das Bewusstsein für den verantwortungsvollen Umgang mit den Möglichkeiten und Inhalten des Internet. Die Diskussion über Chancen und Risiken im Web 2.0 hat zwar begonnen. Aber auch hier konstatieren Studien, dass viele der Web 2.0-Nutzer, nicht ausreichend mit den Tücken dieser jungen Sphäre vertraut sind. Wie sonst ist erklärbar, dass Menschen mit unsäglichen Selbstdarstellungen im Web ihre beruflichen Chancen riskieren, auf naive Weise Persönlichkeits- und Urheberrechte verletzen, mit Datenschutz, Vertraulichkeit und Privatheit leichtfertig umgegangen wird oder Glaubwürdig- oder Verlässlichkeit von Inhalten selten hinterfragt werden. Es geht nicht nur um Systembedienung, sondern um die Entwicklung umfassender Internet-Medienkompetenz. Das gilt nicht nur für den Nachwuchs sondern auch für Eltern und Lehrer und betrifft den privaten Bereich in gleichem Maß wie Unternehmen, die gerade entdecken, dass „Digital Natives“ mit Schatten-IT betriebliche Strukturen unterlaufen und im Netz zum Wohl und Nachteil des Arbeitgebers über jobnahe Themen twittern und bloggen.
Eltern, Bildungseinrichtungen, Politik, NGOs und Unternehmen sind bei allem bisherigen Engagement weiter gefordert, um mit der Entwicklung auch nur annähernd Schritt zu halten. Durch Private-Public-Partnerships und Initiativen wie „Deutschland sicher im Netz“, „IT-Fitness“ oder „Web 2.0 Klasse“, sind zwar viele Menschen mit dem Computer und dessen Bedienung besser vertraut. Die breite Entwicklung des sicheren und erfolgreichen Umgangs mit den Möglichkeiten und Inhalten des Netzes – nennen wir es Medienkompetenz X.0 – ist jedoch die nächste große Baustelle, der sich die Gesellschaft zuwenden muss. Aufgrund der Veränderungsgeschwindigkeit der Innovationsmaschine „Internet“ ist schnelles Handeln gefordert, zum Schutz vor Ungewolltem, aber vor allem zur Nutzung der neuen Chancen.