Unter dem Titel “Alles nur Theater? Authentizität und Inszenierung in der Organisationskommunikation” fand Anfang November in Offenburg die 16. Jahrestagung der Sektion “PR/Organisationskommunikation” der “Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft” statt.
Wissenschaftler aus fünf Ländern, darunter Romy Fröhlich, Günter Bentele, Klaus Merten, Thomas Pleil und Ansgar Zerfaß, diskutierten dort Fragen rund um Authentizität, Identität und Inszenierung in der PR. Spannende Themen, die in jüngster Zeit gerade im Zusammenhang mit Social Media immer häufiger zur Debatte stehen. Wir haben deshalb bei Prof. Dr. Peter Szyszka, dem Mitinitiator der Tagung, einmal tiefer nachgefragt.
Herr Professor Szyszka, was verbirgt sich hinter dem Thema „Authentizität und Inszenierung in der Organisationskommunikation“?
Wenn man Kommunikationspraxis mit wissenschaftlicher Methodik beobachtet, fällt zunächst auf, dass beide Schlüsselbegriffe nicht erst mit den Social Media zur Diskussion stehen. Die Frage nach „Authentizität“ hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen, weil z. B. mit zunehmender Personalisierung von Medieninhalten die Frage verbunden war und ist, wie authentisch ein Manager als Repräsentant eines Unternehmens sein kann oder sein muss? Wenn wir mit „authentisch“ Begriffe wie „identisch“ oder „echt“ verbinden, dann stellt sich die Frage, um welche Art von Authentizität es hier eigentlich geht? Um persönliche Authentizität, um Rollen-Authentizität oder um eine Mischung aus beidem? In der Personalberatung etwa spielt im Kontext von Stellenbesetzungen offensichtlich Rollenauthentizität eine wesentliche Rolle. In jedem Fall verbinden sich mit dem Anspruch an Authentizität gemeinhin so etwas wie Originalitätserwartungen; ein Gegenbegriff zu Verfälschung. Aus der Auseinandersetzung mit Aufmerksamkeit oder Markenbildung wissen wir nun aber z. B., dass es der Inszenierung ausgewählter Merkmale bedarf, um überhaupt eine Chance auf profilierte Bekanntheit für ein Thema, einen Sachverhalt, eine Position o. a. zu besitzen. Die Spannung zwischen beiden Begriffen verweist auf Verzerrung und damit stellt sich aus dieser Perspektive vom Grundsatz her die Frage, wie authentisch eigentlich das sein kann, was ein Beobachter, seien es Medien, sei es Publikum, beobachten kann.
Mit dem Begriff des Beobachters stoßen wir auf eine zweite und, wie ich meine, die eigentliche Problematik: Authentizität ‚hat man nicht’, wenn Sie so wollen, Authentizität wird einem Beobachtungsgegenstand vom Beobachter zugewiesen, ist also eine Identitätsbewertung. Authentizität kann als Erwartung von Beobachtern auf das Auftreten ganz bestimmter Merkmale verstanden werden, die zu dem Vorstellungsbild, was er etwa von einem Unternehmen hat, passt oder auch eben nicht. Sie hören es wahrscheinlich schon heraus: Images und soziales Vertrauen spielen in diesem Zusammenhang eine Rolle. Images, weil sich mit ihnen die Originalitätserwartungen verbinden, die aber eben bei unterschiedlichen Gruppen unterschiedlich sind.
Dies bedeutet z. B. nichts anderes, als dass das, was eine Gruppe als authentisch einstuft, von einer anderen Gruppe auch als unauthentisch bewertet werden kann. Wird Verhalten als authentisch eingestuft, so kann weiter unterstellt werden, dass es nicht nur bestehende Images bestätigt und zu deren Verfestigung beiträgt, sondern dass auch – soweit es sich um positive Imagebewertungen handelt – das soziale Vertrauen dieser Beobachter in ein Unternehmen oder dessen Repräsentanten gestärkt wird. Wir haben es bei Authentizität also auch mit einem Mechanismus der Komplexitätsreduktion zu tun, der letztlich auf stereotypen Verhaltenserwartungen beruht, an die sich die Praxisprobleme im Umgang mit der Frage von Authentizität knüpfen. So etwa: Was mache ich, wenn es Differenzen zwischen Selbstbild und Fremdbildern gibt? Was bedeutet es, wenn ich Erwartungen verändern will oder muss und damit zunächst einmal gegen Authentizitätserwartungen ‚verstoße’? Das in etwa steckt Thema und Diskussionen der Tagung ab.
Was waren denn die zentralen Erkenntnisse ihrer Tagung?
Die zentrale Erkenntnis war – und das haben meine vorhergehenden Bemerkungen ja schon angedeutet –, dass wir es hier mit ganzen Bündeln von Fragestellungen zu tun haben, die überhaupt erstmal geordnet und aussortiert werden müssen. Nachdem ich mich als Tagungsveranstalter schon im Vorfeld intensiv mit dem Thema, u. a. mit dem nach 50 Jahren immer noch lesenswerten Buch des amerikanischen Soziologen Erving Goffman „Wir spielen alle Theater“, auseinandergesetzt habe, schälen sich meines Erachtens zwei für die Praxis vielleicht interessante Befunde heraus. Zunächst einmal scheint es so zu sein, dass sich normative Ansprüche an Authentizität an journalistischen Leitwerten orientieren, also: Aus objektiv wird hier unverfälscht, aus Relevanz etwa Kompatibilität mit Erwartungsmerkmalen usw.
Das Problem kennen wir schon aus diversen Proklamationen zum Selbstverständnis von PR-Arbeit, wenn dort etwa mit Offenheit und Transparenz zwei eher journalistische und im PR-Kontext zumindest erklärungsbedürftige Termini benutzt werden. Geht es – so muss man den Autoren entgegenhalten – wirklich um Transparenz? Oder geht es hier nicht eher um das Management zwischen Transparenzerwartungen bei Bezugsgruppen auf der einen und organisationalen Transparenzansprüchen und -interessen auf der anderen Seite? Analog bedeutet dies: Der Umgang mit Authentizität ist ein Problem des Kommunikationsmanagements. Oder anders ausgedrückt: Hier stellen sich PR-Arbeit Aufgaben zwischen Selbstdarstellung und Fremderwartung, die sich mit einem Begriff wie „Authentizitätsmanagement“ fassen lassen.
Neben diesem eher erwartbaren Befund gibt es für mich Indizien dafür, dass wir möglicherweise die Funktion von Authentizität in Informationsverarbeitungsprozessen neu bewerten müssen. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass ein Beobachter Informationen, die ihm interessant erscheinen, anhand von Bedeutung für ihn selbst und Glaubwürdigkeit in der Sache überprüft, in seinem Auswahlverhalten also zunächst die Sache und, wenn es ihm bedeutsam erscheint, dann auch den Sachverhalt mit mehr oder weniger großer Tiefe zur Kenntnis nimmt. In diesem Denkmodell besitzen nur verarbeitete Informationen einen Nachrichtenwert. Wird die Frage nach Authentizität und damit nach dem Erwartbaren einer Information vorgeschaltet, gewinnen plötzlich auch Routineinformationen Nachrichtenwert. Folgt man dem neuen Denkmodell, dann prüft ein Beobachter zunächst oberflächlich eine Information. Ist sie mit seiner Authentizitätserwartung kompatibel, beschäftigt er sich zwar nicht näher mit ihr, weil sein Vertrauen, das er dem Gegenstand der Information entgegenbringt, bestätigt wird. Diese Annahme stützt z. B. die im PR-Kontext vielfach formulierte Kontinuitätsanforderung an Berichterstattung. Routinemiteilungen, die ‚nur’ Authentizitätsprüfungen durchlaufen, würden damit die Zuweisung sozialen Vertrauens stärken, indem sie Image und Reputation befestigen. Im Umkehrschluss heißt dies, dass immer dann, wenn Images verändert und Reputation verstärkt werden soll, Authentizitätserwartungen irritiert werden müssen, damit es zu einer tiefer gehenden Informationsverarbeitung kommen kann.
Wo besteht im Hinblick auf den beobachtbaren Glaubwürdigkeitsverlust von Wirtschaft und Politik akuter Handlungs- und Diskussionsbedarf bezüglich des Themas Authentizität in der PR?
Eine Antwort auf diese Frage lässt sich direkt an das vorher Gesagte anknüpfen. Zu Wirtschaft und Politik bestehen in der Öffentlichkeit heute pauschal und stereotyp negativ tradierte Rollenerwartungen. Mit einfachen Worten ausgedrückt lautet etwa die Funktionserwartung an das Finanzwesen: Stelle ausreichende Mittel bereit, damit andere wirtschaften können und agiere dabei in angemessenem Rahmen selbst wirtschaftlich. Das wäre Rollenauthentizität. Verschiedene Teile des Finanzwesens haben nun diese allgemeine Rollenerwartung auf den Kopf gestellt, indem sie ihre wirtschaftlichen Eigeninteressen über ihren eigentlichen gesellschaftsfunktionalen Auftrag gestellt haben, operieren damit nicht mehr im Sinne ihres von uns anderes verstandenen gesellschaftlichen Auftrages. Wenn in den Medien der Verdacht geäußert wird, dass Teile des Finanzwesens weiterhin die öffentlich skandalisierte Art von Geschäften machen, dann verhalten diese sich im Einzelfall authentisch. Glaubwürdigkeitsverluste resultieren daraus, dass diese individuelle Authentizität nicht mit unserer Vorstellung ihrer Rollenauthentizität übereinstimmt. Authentizität ist also eine Verhaltenserwartung.
Etwas anders zu bewerten ist der vermeintliche Glaubwürdigkeitsverlust in die Wirtschaft, wobei zunächst zu bemerken ist: Die Wirtschaft gibt es ja eigentlich gar nicht. Im Medienfokus stehen vorrangig Aktiengesellschaften als Kapitalgesellschaften und damit rückt wieder die Verbindung zur Finanzwelt ins Zentrum. Shareholder Value ist hier ein – gesellschaftlich aber nur bedingt akzeptiertes – Authentizitätsmerkmal, dessen vermeintliche Dominanz im Zusammenspiel mit anderen Verhaltenserwartungen hier für die unterstellten Glaubwürdigkeitsverluste verantwortlich zu machen wäre und z. B. dazu führt, dass CSR-Aktivitäten kritisch daraufhin hinterfragt werden, ob es sich um mehr als Fassadentechniken handelt. Auch hier wäre wieder eine Diskrepanz zwischen einer gesellschaftskonformen Verhaltenserwartung als Authentizitätsbewertung und den einzelnen Unternehmen entgegengebrachten individuellen Authentizitätsbewertungen zu attestieren. Bestehen Shareholder getriebene Verhaltenserwartungen, verhalten sie sich authentisch und verfügen über eine, auf den gesellschaftlichen Diskurs bezogen negativ bewertete Authentizität. CSR-Aktivitäten dienen entsprechend u. a. dazu, diese Authentizitätsbewertungen zunächst zu irritieren und dann zu korrigieren.
Glaubwürdigkeitsverluste in Politik muss man noch etwas anders bewerten, weil es hier weniger um Parteien als Organisationen, sondern sehr viel stärker um Politiker als Repräsentanten von Parteien und System geht. Wir verstehen Politiker als gewählte Volksvertreter und glauben zu erleben, dass sie unseren Rollenansprüchen nicht gerecht werden, weil wir ihnen etwa eine vorrangige Vertretung von Wirtschaftsinteressen oder auch eigener Karriereinteressen unterstellten. Oder weil wir, um mit dem zurückgetretenen Arbeits- und vorherigen Verteidigungsminister Jung ein aktuelles Beispiel zu nehmen, von einem Minister Expertise erwarten, dann aber von den Medien vermittelt bekommen, dass seine Rolle Teil eines politischen Länderproporz in der Regierung war, er scheinbar nicht über ausreichende Bindung und Fachexpertise zum Thema Verteidigung und auch nur über eingeschränkte Managementqualitäten verfügte. Diese Bild passt zu den Rollenerwartungen, die scheinbar von breiten Bevölkerungsteilen mit Politikern von heute verbunden werden. Franz Josef Jung war damit nicht nur in seinem individuellen Verhalten als authentisch einzustufen, er passte auch zu den als negativ bewerten Vorstellungen einer realen Rollenauthentizität, die Politikern von heute offensichtlich gesellschaftlich zugeschrieben wird. Glaubwürdigkeitsverluste resultieren hier aus den Differenzen zwischen realer Rollenauthentizität und idealen Authentizitätserwartungen, die im öffentlichen Bewusstsein als Maßstab verankert ist.
Inwieweit lassen sich die – gerade in der Social Media Arena stark diskutierten – normativen Ansprüche bezüglich individueller Authentizität mit dem aktiven Gestaltungsauftrag von PR-Professionals vereinbaren, die mehrheitlich mit der Interessenvertretung Ihrer Arbeitgeber beauftragt sind?
Die Frage rückt einerseits Repräsentanten und ‚ihre’ Rollenauthentizität in den Mittelpunkt und verweist andererseits darauf, dass in unterschiedlichen Kommunikationsräumen offensichtlich unterschiedliche Authentizitätsanforderungen bestehen. Vom Online-Journalismus erwarten wir, dass er Fremdbeobachter und Fremddarsteller von Sachverhalten ist, und von der Internetpräsenz von Organisationen, dass es sich hier um die Selbstdarstellung partikularer Eigeninteressen handelt und die eingesetzten Instrumente der Vertretung der eigenen Geltungsansprüche dienen. Zwischen diesen beiden Polen ist ein Raum entstanden, der jedem, der hieran Interesse hat und über die technischen Möglichkeiten verfügen kann, die Möglichkeit zur Partizipation an öffentlicher Kommunikation erlaubt. Für das Auftreten in diesem Raum hat sich offensichtlich eine eigene, als normativ eingestufte Authentizitätsanforderung herausgebildet, die man mit der Aufforderung beschreiben könnte: „Sei Du!“ Wenn man die so genannte Social Media Arena als den Teil digitaler Öffentlichkeit einstuft, der sich mit Befindlichkeitskommunikation einerseits und unabhängiger Experten-Kommunikation andererseits beschäftigt, ist hier nicht Rollen-Authentizität, sondern individuell persönliche Authentizität das zentrale Erwartungsmerkmal. Erwartet wird zunächst, dass ich meine persönliche Identität und damit auch meine Interessen und möglichen Rollenbindungen offen lege.
Bewegt man sich als CEO in Blogs, Foren, Facebook o. a., dann wird offensichtlich erwartet, dass er sich dort persönlich bewegt und nicht Dritte so tun, als würde er sich dort bewegen. Persönliche und Rollen-Authentizität werden also zu einer gemeinsamen Authentizitätserwartung verknüpft. Das wirft die Fragen auf: Wie lässt sich dies mit der Rolle von Kommunikationsexperten, an die gerade derartige Arbeiten aufgrund entsprechender Fachexpertise delegiert werden, vereinbaren? Die Situation erscheint mir zunächst mit der einer Pressekonferenz vergleichbar, bei der PR-Leute für alle inhaltlichen und organisatorischen Vor- und Nacharbeiten verantwortlich sind und über die präsentierten Stellungnahmen hinaus schon im Vorfeld mögliche Fragen antizipieren und Antworten vorbereiten. Auf Basis dieser Vorarbeiten trifft dann aber ein CEO selbst die Entscheidung, wieweit er sich an das Vorbereitete hält oder es verändert. Eine vergleichbare Form der Zuarbeit ist also unproblematisch. Übernehmen PR-Leute allerdings die Funktion des CEOs, werden also dazu autorisiert, in seinem Namen aufzutreten, verstoßen sie gegen die Authentizitätsanforderung der Beobachter in der Social Media Arena, die hier nicht Stellvertreter, sondern den benannten Akteur selbst erwarten. Drei Lösungswege lassen sich hier als Autorisierungsvarianten diskutieren. (1) Vergleichbar mit der Vorbereitung einer Pressekonferenz werden die Themen und Argumentationslinien fortlaufend abgestimmt, so dass der CEO durch die beauftragten PR-Leute ‚spricht’.
(2) Ein CEO ist in soweit unmittelbar in die Prozesse eingebunden, dass er das Vorgehen seiner Vertreter im Amt kontinuierlich begleitet und autorisiert; er ‚haftet’ hier nicht nur für die in seinem Namen gemachten Aussagen, sondern ist als Beobachter einbezogen und kann ggf. intervenieren. (3) Ein CEO tritt offen mit seinem Kommunikationsteam auf, womit Delegation und Autorisierung offen gelegt werden, sich allerdings auch Bewertung und Authentizitätserwartung verschieben. Bei einer Bewertung dieser Varianten wäre m. E. in Rechnung zu stellen, dass sich im Netz nicht nur Angebote, sondern auch der Umgang mit Angeboten in einem Prozess des Aussortierens befindet, was hier nichts anderes bedeutet, als dass sich durch Systemerfahrungen auch die unterstellten Authentizitätserwartungen wieder verändern können.
Zwingen die Veränderung der Medienlandschaft, die Entwicklungen des Social Web (Partizipation, Mobilität, Multimedialität) und die damit verbundene Virtualisierung von Kommunikation und Information nicht zu immer perfekteren ‚Inszenierungen’ von Personen, Organisationen, Sachverhalten und Themen?
Der in der Tagung thematisierte und auch hier vorangestellte vermeintliche Gegensatz von Authentizität und Inszenierung muss unter den Bedingungen von Informationsüberflutung und begrenzten Aufmerksamkeitsressourcen ja gar kein Gegensatz sein, denn Inszenierung ist ja nicht per se negativ. Aus der Forschung zu Images wissen wir, dass ein Beobachter nur wenige ausgewählte, in seinen Augen wichtige und charakteristische Merkmale eines Sachverhalts beobachtet – Sie merken, da schwingt der Begriff der Authentizität bereits wieder mit – und sie dann als repräsentativ für das Ganze zu seinem bewerteten Vorstellungsbild quasi ‚hochrechnet’. Beobachtet werden nur ausgewählte Merkmale. Das Ganze macht sich z. B. die Markentechnik zu nutze und letztlich funktioniert auch in der PR-Arbeit das Konzept der Schlüsselbotschaften in dieser Weise. Immer geht es aus Perspektive eines Informationsanbieters um Aufmerksamkeit und profilierte Bekanntheit mit bestimmten Anschlusszielsetzungen.
Inszenierung hat vor diesem Hintergrund zwei Ziele. Erstens geht es darum, sich in der Aufmerksamkeitskonkurrenz gegenüber anderen Informationsanbietern zu behaupten, also darum, überhaupt beobachtet und wahrgenommen zu werden. Dies gilt immer dann, wenn aufgrund der Rahmenbedingungen eine Nachfragesituation nach eben diesen Informationen besteht. Mehrheitlich befinden wir uns aber in Angebots- und damit Konkurrenzsituationen, wo Informationen vielfach aufgrund des ‚nackten’ Nachrichtenwertes der Inszenierung bedürfen. Zweitens geht es um die gezielte Vermittlung von Schlüsselaussagen, Werten, Positionen usw. Es geht also darum, dass nicht ein auf Basis des Stoffes beliebiges, sondern möglichst ein gewünschtes Vorstellungsbild entsteht. Dabei müssen wir uns davon lösen, alleine in Kategorien wie Relevanz oder Nachrichtenwert zu denken. Medien erzählen Geschichten. Und wenn wir Teil einer Geschichte oder Gegenstand einer Geschichte sind, dann wird uns wieder eine Handlungsrolle im Ablauf dieser Geschichte zugewiesen, der Gute oder Böse, der Erfolgreiche, der Verlierer usw.
Auch dieses sind wieder Authentizitätszuweisungen, mit denen sich dann auch die Erwartungen an den Ausgang dieser Geschichte verknüpfen. Die Position eines Unternehmens in dieser Rollenkonstellation kann vorteilhaft oder unvorteilhaft sein. Wie beim Theater dient dabei die Inszenierung dazu, einen als vorteilhaft erscheinenden Fortgang der Geschichte durch entsprechende Selbstinszenierung zu stützen und das ‚glückliche Ende’ herbeizuführen. Im anderen Fall wird versucht, der Geschichte eine überraschende, im eigenen Interesse vorteilhafte ‚Wendung’ zu geben. Im zweiten Fall wird bewusst gegen Authentizitätserwartungen verstoßen, werden diese irritiert, um aus der alten Geschichte eine neue Geschichte zu machen. Authentizität ist kein Schicksal, sondern eine Zuschreibung, die ich vor allem dann verändern kann, wenn ich anders bin oder mich anders verhalte, als es die Zuschreibung erwarten lässt, oder wenn ein unvorteilhafter Teil meiner Identität bei den Authentizitätserwartungen dominiert. Ich inszeniere also Identität bzw. Identitätsmerkmale und nicht Authentizität. In diesem Zusammenhang würde ich nicht von einer „perfekten“, sondern immer von einer möglichst „zweckmäßigen“ Inszenierung sprechen.
Wie sehen Sie die zukünftige Entwicklung gerade im Zusammenhang mit dem erwarteten Bedeutungszuwachs des Social Web mit seinen allgegenwärtigen Partizipationsmöglichkeiten und dem Trend zur zunehmenden Fraktalisierung von Medienreichweiten, Märkten oder Interessengruppierungen?
Gelassen und dies aus mehreren Gründen. Zunächst expandiert das Social Web zwar weiterhin, es entstehen immer neue Gefäße, um Inhalte zu transportieren, und Geschäftsmodelle, um ökonomisch hiervon zu partizipieren. In weiten Teilen müssen wir inzwischen die gleiche Frage stellen wie bei den klassischen Medien, wenn wir den öffentlich-rechtlichen Rundfunk einmal außen vor lassen: Geht es tatsächlich um Inhalte oder geht es darum, dass Publisher als Anbieter einer jeweils bestimmten Social Software mit ‚ihren’ Mediengefäßen in erster Linie Geld verdienen? Dass das System nicht nur wächst, sondern sich inzwischen auch aussortiert, können Sie an der Blogosphäre sehen: 90 Prozent dieser vormaligen Generalbedrohung der Unternehmenskommunikation, wenn ich eine Reihe von Praxisbeiträgen der Vergangenheit mal so zuspitze, gelten schon wieder als tot, wobei ich nicht sage, dass der Rest damit bedeutungslos wird. Ich will nur zeigen, dass wir Entwicklungen in ihrer Entwicklung beobachten, uns also bisweilen auch etwas Zeit in der Beurteilung geben müssen. Auch in der Praxis.
Zweitens führt alles das, was wir unter Stichwörtern wie Vermassung von Informationsmöglichkeiten und Fraktalisierung von Interessengruppen diskutieren, nicht nur aus Position der Unternehmenskommunikation zu einer neuen Unübersichtlichkeit, sondern auch aus der Perspektive des Publikums. Je häufiger auch widersprüchliche Informationen konkurrieren, desto größer wird der Orientierungsbedarf. Aus Alltagsbeobachtung und Kommunikationspsychologie wissen wir, dass jeder Einzelne nicht nur irgendwas wissen, sondern über möglichst abgesicherte Informationen verfügen will. Dazu bedarf es Quellen, die als glaubwürdig eingestuft und behandelt werden. Deshalb habe ich auch Probleme, wenn pauschal von einem Ende des Journalismus gesprochen wird. Eben diese Funktion eines als unabhängig eingestuften Beobachters und Berichterstatters hat Journalismus und die scheint mir zwar in der Krise, aber nicht auf dem absteigenden Ast zu sein, weil sich am Bedarf an sich nichts geändert hat. Blogs oder Foren etwa mit ihrer Experten- oder Befindlichkeitskommunikation können dies eben nicht kompensieren. Die Authentizitätsüberlegungen, die wir zuvor angestellt haben, lassen beim Stichwort Rollen-Authentizität hier doch einen Schluss zu: An Journalismus gibt es eine andere Authentizitätserwartung als an die Akteure in Blogs. Vielleicht ist ja gerade die bei Bloggern normative Authentizitätserwartung nichts anderes als ein Ausdruck dafür, dass man um eine weiterreichende Glaubwürdigkeitsleistung ringt, aber eben nicht die Rollen-Erwartung, die mit Journalismus verbunden wird, einlösen kann.
Und schließlich drittes: Die jüngere PR-Geschichte seit Mitte der 1960er-Jahre ist eine Geschichte der Anpassung der PR-Arbeit an sich ändernde Rahmenbedingungen der öffentlichen Kommunikation. Eine erste Zäsur war Anfang der 1970er Jahre die Medialisierung der Gesellschaft, als nach Ende von Wirtschaftswunder und Vollbeschäftigung Politik und Wirtschaft Gegenstand einer zunehmend kritischeren Medienberichterstattung wurden: Hier beobachten wir einen ersten Entwicklungsschub im PR-Berufsfeld. Auf die Privatisierung des Rundfunks reagierte das Berufsfeld geradezu explosionsartig: Innerhalb eines Jahrzehntes verdoppelte oder verdreifachte sich die Zahl der PR-Leute. Fortan wurde auch PR-fachliche Bildung nachgefragt, weil journalistisches Schreiben als Berufsmerkmal nicht mehr ausreichte.
Die Digitalisierung seit Mitte der 1990er-Jahre hat den Bedarf an Fachqualifikation weiter erhöht, weil PR-Leute mit einem unter dem Einfluss von Internet und Social Media immer komplexer und fragiler werdenden Mediensystem immer mehr fachliche Expertise benötigen. Gleichzeitig lässt sich beobachten, dass sich immer mehr Spezialisten für bestimmte Aufgaben herausschälen. Eines dieser Spezialisierungsfelder, vielleicht sogar das Feld ist die Social Media Arena. Hier suchen wir noch nach Antworten, stehen vielleicht noch weiter am Anfang, als uns lieb ist und wir uns eingestehen mögen. Aber zwei Dinge stimmen mich zuversichtlich: Wenn sich das Netz sortiert, warum sollte PR-Arbeit als Beobachter da schon weiter sein können? Wir sortieren dabei allerdings nach unseren eigenen Kriterien. Und zweitens: PR-Arbeit hat in der Vergangenheit immer einen Weg gefunden, analoge professionelle Strukturen aufzubauen. Warum sollte dies diesmal nicht gelingen?